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Turbo-Aufstieg in den Pop-Olymp

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Popstar Billie Eilish vor dem Start der Europa-Tournee bei einem Akustik-Konzert im Telekom Forum in Bonn. Beim Auftritt in der Frankfurter Festhalle waren keine Fotografen zugelassen. ARCHIV © dpa

US-Megastar Billie Eilish hält Audienz in der Frankfurter Festhalle

Frankfurt - Reichlich karg gestaltet sich der Anblick des noch abgedunkelten Bühnenambientes mit ellenlang in den Zuschauerraum ragenden Catwalk. Auf der einen hinteren Seite steht auf einem Podium ein recht opulentes Schlagzeug. Direkt gegenüber davon findet sich ebenfalls auf Anhöhe ein Equipment-Mix aus Keyboards, Laptop, Percussion, Bass, E- und Akustikgitarre. Als Trockeneisnebel aufsteigt, hebt sich ein Teil des Bühnenbodens an, geht in die Schräglage, dient von da an flächendeckend als Projektionsfläche für gigantische Natur-Impressionen.

Urplötzlich öffnet sich zur Bühnenmitte eine Vertiefung im Boden. Grelles weißes Licht flammt zu den Anfangstakten von "Bury A Friend" auf. Sekunden später ploppt urplötzlich aus dem Schacht Billie Eilish heraus: schwarze Haare auf dem Haupt, weiße DocMartens an den Füßen und Batikklamotten am Leib, die zuletzt im Woodstock-Sommer 1969 so richtig en vogue waren.

In der ausverkauften Frankfurter Festhalle bricht unmittelbar die Hölle los. Kollektives Johlen, Jauchzen und Jubeln aus mehr als 10 000 Kehlen verstärkt sich zu einem undefinierbaren Geräuschpegel im oberen Dezibelbereich. Solche vehementen Kreisch-Attacken gab es bei den Beatles und Rolling Stones, T. Rex, David Cassidy und auch bei den zahllosen Boy Groups der Neunziger. Aufgestaute Emotionen, angesammelt während stundenlangen Ausharrens in Gluthitze bis zum Einlass, brechen sich nun unkontrolliert Bahn. Wer erst zum Support Act kam, der kanadischen Singer-Songwriterin Jessie Reyez, sah vor der Tür noch das Schlachtfeld aus Unmengen an Abfall, verlorenen Kleidungstücken, Schirmen und Taschen.

Allerdings rekrutiert sich das hemmungslose Schreien noch mehr aus der Tatsache, dass Billie Eilish derzeit als einer der weltweit größten US-Megastars gilt. Gerade mal 20 Lenze jung, entspricht die in Los Angeles geborene Billie Eilish Pirate Baird O'Connell just dem derzeit gängigen Role Model der Generation Z - Kids, Jugendliche, junge Erwachsene und selbst ältere Semester schwören auf sie. Selbst gestandene junge Hartmetaller sind froh, wenn sie noch eines der begehrten Tickets mit gesalzenen Preisen ergattern.

Ohne den Bruder läuft nichts

Wie Billie Eilish das schafft? Angeblich raucht und trinkt sie nicht, lebt vegan, kämpfte aber von Kindesbeinen an mit kleineren Tics und dem Tourette-Syndrom. All das und noch mehr tut Billie ganz offen per TV, Internet, Social Media, Magazinen sowie sonstigen Multiplikatoren kund, selbst die eigenen zeitweiligen Depressionen. Weltweit halten sie viele für ein Wunderkind im Stile eines Mozart. Doch es gibt auch nicht wenige Kritiker, die sie - ähnlich wie Greta Thunberg - als stilisiertes Plastikprodukt der Eltern einordnen.

2016 erschien Eilishs Debütsingle "Six Feet Under" - da war sie 15. Komponiert und produziert von ihrem vier Jahre älteren Bruder Finneas Baird O'Connell (24) - wenn einer hier Mozart ist, dann er. Ohne ihn läuft nichts. Auch in der Frankfurter Festhalle ist er vor Ort. Assistiert von Schlagzeuger Andrew Marshall, bedient er per Multitasking das Instrumentenarsenal. Mehr noch! Finneas hält das in jeder Sekunde minutiös durchgetakte Spektakel, das sich als spontan inszeniert, letztlich zusammen.

Ein satter Querschnitt durch die weltweiten Nummer-eins-Alben "When We All Fall Asleep, Where Do We Go?" (2019) und "Happier Than Ever" (2021) sowie diverse Singles schlängelt sich da in rund 100 Minuten durchs Rampenlicht. Billie Eilish meistert den Turbo-Aufstieg in den Pop-Olymp souverän. Sie singt, rappt sich durchs Repertoire, hüpft viel und weist ohnehin ein ziemlich beachtliches Bewegungsprofil auf. Grundsolide ist das recht ohrwurmige Songmaterial mit Stippvisiten in die Electronica, den Pop und - wenn auch ziemlich knapp gehalten - in den Rock und Heavy Metal. Elektronische Basslastigkeit führt zu unmittelbarer Tanzbarkeit. Ein Unplugged-Set mit ihr und Finneas an den Akustikgitarren findet sich ebenso wie fünf Songs am anderen Ende der Hauptbühne auf der B-Stage, wo Billie per hydraulischen Kran hoch droben der Fangemeinde im 1. und 2. Rang zuwinkt.

Faktenreich nimmt sich hingegen die Inszenierung von "Getting Older" aus: Billie als Baby, als Kleinkind, als Jugendliche aus Heimclips der Eltern überlebensgroß projiziert - schon da demonstrierte sich die Lust am Verkleiden, Posieren und im Fokus stehen. Megahit "Bad Guy", ein Club-Stampfer ersten Ranges, gibt es erst zum Finale. Noch ein "Happier Than Ever" nachgelegt, dann verbeugt sich das Triumvirat und zieht von dannen.

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