Textilmüll vor herrschaftlicher Barockfassade

Die "documenta fifteen" lebt auch von dem Kontrast zwischen historischen Bauten und moderner Kunst
Kassel - Besonderes Augenmerk dürfte bei der Weltkunstschau der documenta-Standort WH22, ein altes Kulturareal, auf sich ziehen. Dort stellt auch die palästinensische Gruppe The Question of Funding aus, an der sich eine Antisemitismusdebatte um die documenta entzündete. Mohammed Al Hawajri etwa kombiniert in seiner Serie "Guernica Gaza" Bilder von Angriffen der israelischen Armee auf das Palästinensergebiet mit klassischen Motiven von Millet, Delacroix, Chagall oder van Gogh. Der Serientitel stellt eine Verbindung her zum Gemälde "Guernica" von Pablo Picasso - es entstand 1937 als Reaktion auf die Zerstörung der spanischen Stadt durch einen Luftangriff der "Legion Condor" Nazi-Deutschlands.
Zum ersten Mal beteiligen sich laut Kurator Markus Ambach mit dem Projekt "Eine Landschaft" auch örtliche Künstler in nennenswertem Umfang an einer documenta. Rene Wagner etwa widmet sich in seinem Atelier in einem früheren Bootsverleih an der Fulda hochglanzlackierten Siegertrophäen aus der Welt des Sports und der biederen Bürgergesellschaft - und ihren Blessuren. "Hier wird Alltagskultur als Kultur ernstgenommen", sagt Ambach.
In unmittelbarer Nachbarschaft hat das Kollektiv Off-Biennale Budapest einen imaginären Spielplatz aufgebaut. Die gemeinsam mit einer Schule entstandene "Allesbrücke" lädt mit Kletterwänden, Rutschen und Sandkästen zum Spielen wie zur Interaktion ein. Eva Kotátková lotet mit ihrer textilen "Daydreaming Workstation" die fantastischen Zusammenhänge zwischen Träumen und Tagträumen aus.
Dann der Kontrast: Auf der großen Karlswiese gegenüber macht das Nest Collective aus Nairobi mit seiner aus Textilmüll und Elektroschrott bestehenden Installation "Return To Sender" auf die Zerstörung von Umwelt und Märkten afrikanischer Länder aufmerksam. Cao Minghao & Chen Jianjun aus Chengdu in China haben vor der herrschaftlichen Barockfassade der Orangerie ein schwarzes, innen unerträglich heißes Zelt errichtet, mit dem sie auf die sozialen Ungleichheiten der Menschen hinweisen.
In der Nordstadt ist ein Fulda-Zufluss Spielort der documenta. Dort reicht eine Sommerbühne aus Lehm und anderen nachhaltigen Materialien über die Ahne mit Sitzplätzen aus Holzstämmen. Der indische Maurer, Architekt und Lehrer Sourabh Phadke hat sie für die palästinensische Künstlerin Jumana Emil Abboud entworfen. Die Bühne dient für Performances und Open-Air-Kino.
So bunt wie die Weltkunstausstellung selbst präsentierte sich auch die Generaldirektorin Sabine Schormann bei der Voreröffnung. Sie trug eine Tunika in dem farbenfrohen documenta-Design. Was von der diesjährigen Schau bleiben werde? "Wer weiß", sagte sie. Auch das überlasse das Ruangrupa dem Prozess.