Staatsmacht wird zur Gurkentruppe

Aeronaut Mik spielt in der Frankfurter Schirn mit Fiktion und Wahrheit
Frankfurt -Irgendetwas stimmt nicht. In Zeitlupe purzeln die Polizisten aus dem Einsatzwagen: Also das sieht jetzt aber nicht nach einem Sondereinsatzkommando der Polizei aus, eher nach einer Gurkentruppe. Oder, andere Szene: Einige Polizisten laufen durch eine Unterführung, um dann völlig erschöpft auf eine Grünfläche zu sinken. Was haben sie nur erlebt? Fragen über Fragen wirft der Künstler Aernout Mik mit seinen Videos auf. Bei ihm dreht sich alles um das Verhältnis von Individuum und Staat, Macht und Ohnmacht, Sicherheit und Bedrohung.
Jetzt zeigt der 60-jährige Niederländer neuere Videos in der Frankfurter Schirn Kunsthalle. In "Double Bind" von 2018 kriegt die Gurkentruppe nichts auf die Reihe; das ebenfalls rund 40-minütige und erst im April gedrehte "Threshold Barriers" schließt dort an, wo das erste Video endet. Es denkt die Idee der funktionslosen Polizei weiter und zeigt die Situation nach der Eskalation zwischen Demonstranten und Einsatzkräften.
Nur sind jetzt die Fronten unklar, es herrscht ein heilloses Durcheinander von kreuz und quer stehenden oder gar umgestürzten Absperrgittern. Irgendwann fangen die zwei Gruppen wieder an, sich zu bedrängen, um sich im nächsten Moment zu umarmen.
Es scheint so, als ob die Demonstranten die Übermacht haben, aber nichts damit anfangen können. Dafür nehmen sie den Polizisten teilweise die Uniformen oder die Schlagstöcke ab und staffieren sich selbst damit aus. Doch das Machtvakuum wird nicht ausgefüllt.
Damit stellt sich für Kuratorin Katharina Dohm die Frage, "was passiert, wenn der Staatsapparat zusammenbricht". Übernehmen dann die Sieger die Macht? Ähnlich chaotische Szenen wie bei Mik spielten sich auch beim Sturm auf das US-Kapitol im Januar 2021 ab, Polizisten wurden überrannt. Und das alles nur, weil der längst abgewählte, aber noch amtierende Donald Trump seine Wahlniederlage nicht eingestehen konnte.
Aernout Miks Thematik interessiert auch Sebastian Baden, den neuen Direktor der Schirn. Erst seit Anfang Juli im Amt, hat er die Schau natürlich nicht initiiert. Aber ihn treiben ähnliche politische Themen um. Zuletzt zeigte er als Kurator der Mannheimer Kunsthalle, wie sich der Terrorismus in der Kunst abbildet. Freilich handelt es sich bei Miks Videos nicht um stringente Erzählungen, ständig werden Handlungen abgebrochen. Niemand wird verhaftet, alles wirkt absurd.
Merkwürdig ist auch die Geräuschkulisse. In "Double Bind" sprechen die Polizisten nicht, es ist der Straßenlärm zu hören, dann Vogelgezwitscher, das Rauschen der Bäume, das Atmen der Polizisten, auch ihr Stöhnen, wenn sie sich dehnen, um Gliedmaßen zu regenerieren und Schmerzpunkte zu finden. Gegenüber in "Threshold Barriers" gibt es keinen Sound, die Handlungen wirken damit noch stärker verfremdet. "Double Bind" indes läuft nur über Lautsprecher und untermalt damit beide Videos. Wie ein Sog wirken die vielen Nahaufnahmen auf den Betrachter. Er ist ohnehin umzingelt, auf der einen Seite von drei, auf der anderen Seite von zwei Monitoren. Allerdings sind viele Einsatzbilder von den Nachrichten vertraut. Doch bei Mik läuft alles schnell aus dem Ruder; aus der Dokumentation wird Fiktion mit einem Funken Wahrheitsgehalt - es sind verstörende und ästhetisch betörende Videos.
Aernout Mik engagiert dafür Tänzer, Performancekünstler und Statisten, mit denen er mehrmals zusammenarbeitet. Schon seit geraumer Zeit beschäftigen ihn diese Szenen zwischen Kontrolle und Krawall, Krieg und Frieden. Doch etwas ist jetzt anders. Viele Videos - dazu zählt auch "Double Bind" - zeigen immer Situationen der Lähmung. Neuerdings aber rücken Menschen in den Fokus, die sich organisieren, um mehr Einfluss auf Politik und Gesellschaft zu nehmen. Ein Hoffnungsschimmer also, zumal die Demonstranten nicht das Kommando übernehmen wollen wie die Kapitol-Stürmer.
Information
Schirn Kunsthalle, Frankfurt, Römerberg 3, bis 3. Oktober. Geöffnet: Di und Fr-So 10-19, Mi/Do 10-22 Uhr. Eintritt: 6 Euro. Internet: www.schirn.de