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Reportagen aus dem Trümmerland

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Als Schriftsteller ist George Orwell bekannt geworden, doch er arbeitete auch als Journalist. Als solcher schilderte er seine Eindrücke von Deutschland am Ende des Zweiten Weltkriegs in Reportagen. FOTO: DPA © DPA Deutsche Presseagentur

Als Journalist beobachtete der berühmte Schriftsteller George Orwell 1945 das zerstörte Deutschland. Seine Reportagen wurden nun in einem Buch zusammengefasst und zeigen Orwells Blick auf die Verwüstung.

George Orwell (1903 - 1950) war von Hause aus Sozialist. Im Spanischen Bürgerkrieg kämpfte er aufseiten der Republikaner. Was er erlebte, mündete zusammen mit seiner scharfsinnigen Analyse der zeitgenössischen Politik und insbesondere von Faschismus und Stalinismus in seinen Klassikern »Farm der Tiere« (1945) und »1984« (1949). In beiden Büchern prangerte Orwell totalitäres Denken von rechts und links an. Da der Schriftsteller damals noch mäßig erfolgreich war, blieb er nebenbei Journalist. In dieser Funktion berichtete er gegen Ende des Zweiten Weltkrieges, den britischen und amerikanischen Truppen folgend, über Deutschland, das nurmehr eine Trümmerlandschaft war.

Rache kann auch sauer sein

Orwell geht davon aus, dass seine Landsleute sich kaum das Ausmaß der Verwüstung vorstellen konnten. Er berichtet, dass die Deutschen sich das Ende des Krieges herbeisehnen, aber auch von einer trotzigen Haltung, die er in manchen Augen gesehen zu haben glaubt. Orwell befürchtete, dass die Gefasstheit der meist noch gut genährten Deutschen kippen könnte, wenn, wie zu befürchten, Hungerjahre kämen.

An der »Heimatfront« war die Ernährungslage immer relativ gut gewesen. Das lag an der Ausplünderung der besetzten Gebiete, wozu letztlich auch der Einsatz von 4,5 Millionen Zwangsarbeitern zählte, die die Landwirtschaft am Laufen hielten. Ohne diese von den Alliierten Displaced Persons genannten Menschen würde es den Deutschen wegen der vielen Gefallenen und Kriegsgefangenen bald an Arbeitskräften fehlen, so Orwell. Tatsächlich folgten auch einige Hungerwinter, die aber die politische Stabilität nicht erschütterten. Orwell stellt fest, dass die meisten Deutschen hofften, unter Aufsicht der Briten und Amerikaner zu landen. Im Unterschied zu Frankreich und Russland war deren Staatsgebiet nicht von der Wehrmacht besetzt, weshalb man auf mildere Behandlung hoffte. Den Russen schlug das größte Misstrauen entgegen. Hier glaubte Orwell anfangs, dass sich das legen könnte, da es an der fortwirkenden Nazi-Propaganda gegen den Kommunismus liegen könnte. Aber dann sieht Orwell mehr und mehr: Die Deutschen ahnen, dass ihnen der Stalinismus die Freiheit nehmen könnte, an der sie jetzt schnuppern.

Schriftstellerisches Feingefühl

Das schriftstellerische Feingefühl Orwells zeigt sich am meisten in der Reportage: »Rache ist sauer«: Hier beschreibt er einen jüdischen Offizier, der für den US-Geheimdienst arbeitet und SS-Leute verhört. Orwell merkt, dass der Jude selbst gar keine Freude daran hat, es aber offenbar tut, weil er sich so lange erträumt hat, eines Tages Rache an den Nazis zu nehmen. Aber selbst legitime Rache kann eher sauer als süß sein. Deshalb empfiehlt Orwell einen rationalen Umgang mit den Deutschen. Auch weil man mit deren schlechter Behandlung nach dem Ersten Weltkrieg die Saat für die Nazis gelegt habe.

George Orwell: Reise durch Ruinen. C.H. Beck, 111 Seiten, 16 Euro, ISBN 978-3-406-77699-1

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