Poesie der Stille

Ugo Rondinone bringt in der Frankfurter Schirn Kunsthalle die Zeit zum Stehen
Frankfurt -Es ist alles ganz einfach. Ugo Rondinone verwendet Motive, die jedes Kind kennt: Sonne, Mond, Sterne und Regenbogen, auch Bäume, Clowns, Türen und anderes mehr. Der Künstler will möglichst viele Menschen erreichen und setzt dafür auf die Kraft der Symbole: "Die Landschaften, die Clowns, die Bäume, die in meinem Werk vorkommen, sind wie ein Alphabet, zu dem alle einen Bezug haben", so Rondinone.
Dass der 58-jährige Schweizer jetzt die erste Überblicksschau in Deutschland hat, verwundert dann doch angesichts seiner populären Symbolik. Rund 80 Arbeiten aus den vergangenen 30 Jahren hat die Frankfurter Schirn Kunsthalle zu einem Parcours versammelt, von der Nacht in den Tag, von der Dunkelheit ins Licht führend. Diese und andere Gegensätze prägen Rondinones Werk, das oft auch Innen- und Außenwelt der Menschen zeigt - die freilich oft nachdenklich und fast melancholisch wirken.
Aber zuerst entdeckt der Besucher den Regenbogen auf dem Dach der Schirn, der aus den zwei Wörtern "life time" besteht. Von der Zeit und der Vergänglichkeit kündet auch der Aluminiumabguss eines 2000 Jahre alten und über sechs Meter hohen Olivenbaumes in der Rotunde direkt vor dem Eingang der Kunsthalle. Tatsächlich kommt es einen so vor, als stünde bei Rondinones Werken die Zeit für eine Weile still, wie das auch Schirn-Direktor Philipp Demandt konstatiert.
Drinnen geht es in den zwei Etagen der Rotunde weiter mit mehr als 5000 Mondbildern, die Frankfurter Kinder für Ugo Rondinone gemalt haben. "Your age and my age and the age of the moon" - der Werktitel sagt schon fast alles. Das Universum ist Milliarden Jahre alt, der Mensch indes vergleichsweise jung. Rondinone will also Respekt vor der Natur vermitteln.
Aber die eigentliche Ausstellung beginnt erst jetzt, bespielt doch Rodinone den kompletten langen Galerietrakt und damit, bis auf den großen Saal, alle Räume der Schirn. Das ist selten, denn die Schirn zeigt immer parallel zwei Ausstellungen, denen man auch räumlich gerecht zu werden versucht. Rondinone ist also ein Schwergewicht der heutigen Kunst, auch wenn alles so alltäglich und vertraut daherkommt, auch sehr stimmungsvoll. So kann man Rondinone als Poet des Alltags bezeichnen, im Gegensatz zu vielen Künstlern, die politisch arbeiten.
Die vier großen Räume in der Galerie sind wie die Erzählung eines 24-Stunden-Tages, beginnend mit der Nacht. Im ersten Raum blinken Sterne von wandfüllenden Bildern, ein dicker Clown schläft auf dem Boden, eine schwarze Tür verlockt zum Öffnen - statt einer Klinke gibt es jedoch ein Vorhängeschloss. Der Zugang in eine andere Welt wird verwehrt.
Im zweiten Saal ragt eine riesige, dicke und gewölbte Wand aus Erde mitten in den Raum, umspielt von 13 lebensgroßen Figuren, die einzeln herumsitzen oder herumliegen. Die Frauen und Männer sind extrem schlank, nehmen aber nichts wahr, so tief versunken sind sie in sich selbst. Rondinone hat sie nach lebenden Personen geformt, allesamt Tänzer; als Material diente ein Gemisch aus Wachs und Erdpigmenten. Aber die Figuren haben keine Haare, wirken zudem durch die dunklen Töne zwischen Braun und Schwarz fast wie Höhlenmenschen.
Hier ist alles entschleunigt, auch vor den drei Uhren ohne Zeiger. Ruhiger und meditativer geht es nicht mehr. Danach folgen archaische Figuren aus grobem Beton, feine Zeichnungen und an die Wand geschriebene Gedichte sowie zwölf Kurzfilme, die nur zehn Sekunden dauern. Diese reißen Geschichten an, die sich in alle Richtungen entwickeln könnten - entsprechend kann dies der Besucher nach seinem Gusto tun. Ein Mann schaut aus einem Fenster und bewegt dabei den Vorhang hin und her - wie geht es wohl weiter?
Im letzten Raum erstrahlt endlich das Sonnenlicht, auch wenn zugleich eine Schneemaschine für quadratisches Konfetti sorgt. Das Flirren und Flimmern der Sonne meint man noch in den verschwommenen Zielscheiben-Bildern zu spüren. Am Boden liegen Äpfel und Birnen, in Bronze gegossen als eingefrorener Moment des Lebens. Eine spielerische Schau also, ganz anders als politische Kunst, die aufrütteln will.
Information
Schirn Kunsthalle, bis 18. September. Di und Fr-So 10-19, Mi/Do 10-22 Uhr, Katalog 35 Euro
