Nur noch ein bisschen melancholisch

Pearl Jam beglücken die Fans in der ausverkauften Frankfurter Festhalle
Frankfurt - Zu erklären, warum eine Musik aus der Mode gerät, ist schwierig. Vielleicht ist es aber auch so simpel wie Gene Simmons, der Bassist von Kiss, einmal gesagt hat: Irgendwann hätten die Leute keine Lust mehr gehabt, zu hören, dass das Leben Scheiße sei, und seien zum Hip-Hop gewechselt, weil sie da von Geld und dicken Autos sangen.
Grunge ist tot, sagen alle. Dabei gäbe es für düstere, dreckige, schwere Gitarrenriffs und verzweifelt-melancholische Strophen heute noch mehr Anlass als damals in den 90ern, als der Grunge von Seattle aus um die Welt zog. Wer die Tagebücher von Kurt Cobain gelesen hat, weiß, es ging nicht nur um privaten Weltschmerz, es ging auch um Trauer über den Zustand der Welt.
Cobain, der Sänger von Nirvana, ist so tot wie Chris Cornell (Soundgarden/Audioslave) oder Layne Staley (Alice in Chains): Selbstmord oder Drogen - mit dem Grunge sind seine Musiker gestorben. Pearl Jam jedoch, eine der schönsten Perlen des Grunge, leben noch. Und wenn man das Publikum in der ausverkauften Festhalle sah, konnte man denken, auch dem Grunge gehe es gut: Es waren viele junge Fans darunter, jedenfalls erheblich mehr als zuletzt bei Elton John, Lindenberg oder Kiss.
Dass sich das Klima geändert hat, bemerkt man am charismatischen Frontmann Eddie Vedder (57): Da steht kein Trauerkloß, der Depression und Lebensunlust besingt. Vedder springt gut gelaunt über die Bühne, spricht leutselig mit den Fans. Zuletzt seien Pearl Jam vor 30 Jahren, also auf dem Höhepunkt der Grunge-Welle, in Frankfurt gewesen. Für diesmal hat Vedder einige deutsche Sätze eingeübt, die er bewusst umständlich vom Blatt liest und die in der Übersetzung der in den USA gebräuchlichsten Verwünschung gipfeln: F... - die Menge lacht und grölt.
Vom ersten ("Inside Job") bis zum letzten ("Indifference") Song ist die Show auf die Musik konzentriert. Es gibt kein Spektakel, kein Feuer, keine Explosionen, keine Bilderflut. Das Licht unterstützt die wechselnden Stimmungen in der Musik und der markanten Stimme Vedders, die mal versonnen, mal ekstatisch, mal aggressiv klingt, während sie mit der Festhallen-Akustik kämpft. Leadgitarrist Mike McCready zaubert, macht Druck, rotzt und fantasiert. Der Abend ist kein Ausflug ins Museum der Rockgeschichte und auch kein schwermütiger Singkreis für Unglückliche und Beladene, selbst wenn Grunge immer noch Grunge bleibt. Pearl Jam reißen mit, verströmen positiven Geist. Irgendwann taucht eine Ukraine-Flagge auf, im Publikum, dann auf der Bühne. Vedder geißelt den Krieg, das neue US-Abtreibungsrecht.
"Animal", "Corduroy", "Jeremy", "Better Man", in der Zugabe "Alive" - ja, Pearl Jam leben noch. Irgendwie ist es ein Wunder. Und auch wieder nicht: Wenn 13 000 am Ende jubeln, klatschen, nach 23 Songs noch auf weitere hoffen, müssen die Totgesagten verdammt lebendig sein. "Passt auf euch auf!" Ja, machen wir, nur so bleibt man am Leben.