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Magie des schönen Moments

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Von gestern oder von übermorgen? Greta-Van-Fleet-Sänger Josh Kiszka in der Jahrhunderthalle. Sven-Sebastian Sajak © Sven-Sebastian Sajak

Greta Van Fleet liefern in Frankfurt einen fulminanten Auftritt ab

Frankfurt -Die Geschichte, die Grammy-Gewinner Greta Van Fleet, eine der derzeit am meisten diskutierten Rock-Bands, seien nur ein Aufguss von Led Zeppelin, hat inzwischen einen so langen Bart, dass allein die verbliebenen Mitglieder von ZZ Top ihn noch übertreffen. Trotzdem erzählen ältere Rockfans sie immer wieder gern. Besonders ergraute Musikkritiker tischen die Story bei jeder Gelegenheit auf - fast wie Opa, wenn er vom Krieg plaudert und bemerkt, dass er alles schon erlebt, gesehen und gehört habe, und es ohnehin nichts Neues unter der Sonne gebe. Es nervt.

Als an diesem lauen Sommerabend die Sonne hinter der Frankfurter Jahrhunderthalle langsam abtritt, so als habe sie für diesen Tag nun doch genug geglüht, stehen natürlich auch ein paar ehrwürdige Rocksenioren mit Led-Zeppelin-T-Shirt an der Biertheke. Ihnen scheint es wichtig zu sein, sich durch ihr Bekenntnis zu Robert Plant und Jimmy Page als Männer auszuweisen, die schon manches Konzert-Abenteuer bestanden haben.

Die meisten Besucher indes sind erst geboren worden, lange nachdem die Band sich 1980 aufgelöst hat. Sie haben nie auf eine Reunion gewartet. Auch nicht darauf, dass es irgendwann einmal eine allerbeste LedZep Coverband geben werde. Deshalb tragen sie den kargen Aufdruck Greta Van Fleet auf dem Hemd - und manche noch einen Sticker: "Respekt!" Das ist offenkundig eine völlig andere Generation als die, die einst fand, Rock sei Verweigerung von Respekt schlechthin - vor allem gegen die Eltern.

Als es gegen 21 Uhr in der ausgelasteten Halle dunkel wird, dringt eine fast mystisch klingende Falsett-Stimme in die Finsternis. Mit einem Schlag wird es hell: Schmutzige Riffs lösen sich. Josh Kiszka (26), der Sänger der höheren Sphären, fliegt herein, angetan mit einem geschmacklich äußerst bedenklichen Goldkostüm mit durchsichtigen Puffärmeln, dazu dünnes Schnauzbärtchen und hellbraune Löckchen, ein Glamrock-Hippie-Flowerpower-Retro-Rauschgoldengel. Das Quartett mit den Kiszka-Brüdern Jake an der Gitarre und Sam am Bass sowie Danny Wagner am Schlagzeug, das 2012 als Schülerband an den Start ging, stammt ja aus Frankenmuth, Michigan, eine Art Mini-Franken mit 5000 Einwohnern, das stolz ist auf ein Weihnachtsschmuckgeschäft und den bayerischen Trödel, den man zur Ausrichtung amerikanischer Retorten-Oktoberfeste vertreibt.

Die Welt, die Kiszka auf den beiden bisherigen Alben "Anthem of the Peaceful Army" (2018) und "The Battle at Garden's Gate" (2021) besingt, hat ja auch etwas von einem Disney- und Fantasyland, in dem es Rosen regnet, tote Königinnen in ihren Gräbern schlummern und sich von sonderbaren Geschöpfen besiedelte imaginäre Landschaften ausdehnen, ein futuristischer Märchenkosmos, den die Band wie der Aufklärungstrupp einer romantischen Friedensarmee durchmisst. Musikalisch ist die Mischung aus Hard Rock, Folk, Psychedelic und Blues erstklassig dargeboten, perfekt arrangiert, fein abgestimmt. Die Brüder beherrschen ihre Instrumente und bestätigen den trefflichen Satz des Guns n' Roses-Gitarristen Slash, dass Kunst von Können komme. Und sie können: Jakes Gitarrenspiel ist virtuos, ekstatisch, einfallsreich. Es trägt selbst einen auf über 13 Minuten ausgedehnten Song.

Pathetisch, monumental, mal opernhaft glamourös, mal akustisch zart, mal dreckig - 13 Songs spielen Greta in anderthalb Stunden: "Built by Nations", "Safari Song" (mit einem wuchtigen Drum-Solo), das betörende "Broken Bells", "Age of Machine", "The Weight of Dreams". Greta Van Fleet ziehen das Publikum in einen flamboyanten Klangrausch. Niemand fragt, ob das jetzt Plant oder Kiszka ist, 70er oder Gegenwart. Die Magie des schönen Moments war seit je die Essenz aller großen Rockauftritte. Auch zu Opas Zeiten schon.

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