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Legenden entlarvt

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Zum Dritten Reich gibt es jede Menge Literatur. Der Mainzer Politik-Professor Jürgen Falter hat nach langer Forschungsarbeit eine umfangreiche Studie zur Mitgliederstruktur der NSDAP vorgelegt. Er räumt darin mit der Legende auf, die Nazi-Partei sei vor allem eine Kleinbürger-Partei, vor allem also der Angestellten und Selbstständigen gewesen.

Falter benennt die Tatsachen: Arbeiter waren durchaus entsprechend ihres Anteils in der Gesamtpopulation vertreten. Die NSDAP war eine Massenpartei, die alle Bevölkerungsschichten erfasste.

Keinesfalls nur Opportunisten

Bei der »Machtergreifung« hatte sie 300 000 Mitglieder, 1944 waren es über zehn Millionen. Darunter waren nicht nur in der Wolle gefärbte Nazis, sondern auch viele Opportunisten, die nach dem Krieg als Mitläufer eingestuft wurden.

Natürlich wollten nach dem Krieg in den Verhören der Alliierten die meisten nur Opportunisten oder »Idealisten« gewesen sein. Gut, dass Falter dies in manchen Fällen mit Aussagen kontrastieren kann, die in Nazi-Zeiten von denselben Personen getätigt worden waren. Dafür gibt es sogar zwei Quellen. Zum einen hatten 1934 Hunderte von Parteimitgliedern bei einer Umfrage des US-Wissenschaftlers Theodore Abel mitgemacht. Dabei sollten die Kämpfer der »Alten Garde« ihre Motive für den Parteieintritt schildern.

NSDAP-Eintritte nicht in Gruppen

Eine zweite Quelle bilden die »Gimbel-Berichte«. Hier sollte die »Alte Garde« für ein geplantes »Ehrenbuch« über ihre Motive zum Parteieintritt berichten. Das klappte nur im Gau Hessen-Nassau. In beiden Quellen erweisen sich die Eintrittsmotive als ideologisch aufgeladen.

Unzufriedenheit mit den herrschenden Verhältnissen, völkische Ideologie, Sehnsucht nach einem Führer lauten die abstrakten Umschreibungen der Wissenschaftler. In den »Gimbel-Berichten« fiel noch auf, wie viele Menschen vor allem auch aus Wut und Verzweiflung über ein persönliches Scheitern in die NSDAP eintraten.

Nach dem Krieg wurden, wie schon erwähnt, die ideologischen Motive wie Hass auf Weimar oder die Juden verharmlost. Es ist daher wenig überraschend, dass viele in den Verhören davon sprachen, wie sehr sie Menschen, die verfolgt wurden, geholfen haben.

Mit der Legende, dass man per Masseneintritt über Schulklassen oder andere Gruppen Mitglied geworden sein will, räumt Falter übrigens auf. Man musste aktiv einen Antrag stellen, der geprüft wurde. Dieter Sattler

Jürgen W. Falter: Hitlers Parteigenossen, Campus, 584 Seiten, 45 Euro, ISBN 9783593511801

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