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Lava, Liebe, Lanzarote

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Von: Marion Schwarzmann

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Pedro Fernández García befindet sich in ehrenwerter Gesellschaft. Denn Abraham Lincoln, Walt Disney, Rock Hudson und Bing Crosby haben es getan: Sie jobbten in jungen Jahren bei der Post, bevor sie ihre großen Karrieren starteten. Pedro Fernández García, Briefträger auf Lanzarote, allerdings kämpft in Moritz Rinkes jüngstem Roman ums nackte Überleben.

Moritz Rinke kann auch komisch. Der 54-jährige Dramatiker, der einst in Gießen Theaterwissenschaften studierte und den Nibelungenstoff für die Festspiele in Worms bearbeitete, schickt in seinem neusten Buch »Der längste Tag im Leben des Pedro Fernández García« seinen Protagonisten auf eine abenteuerliche Reise. Pedros kleine Welt ist mächtig aus den Fugen geraten, denn es gibt auf der kanarischen Insel keine Fische und keine Briefe mehr. Im Zeitalter von SMS und elektronischer Post muss der sympathische Held seine täglichen Auslieferungstouren mit dem Motorrad türken, um bei seinem staatlichen Arbeitgeber auf dem spanischen Festland mangels Masse nicht den Job zu verlieren.

Doch damit nicht genug. Eines Tages verschwindet auch Pedros Frau Carlotta und hat den geliebten Sohn Miguel gleich mitgenommen - ins ferne Barcelona. Sie hat das eintönige Leben in Pedros verstaubtem Elternhaus satt, lässt sich als unentbehrliche Hotelrezeptionistin auf ein Verhältnis mit ihrem Chef Bruno ein. Fassungslos steht Pedro vor den Trümmern seiner auseinandergerissenen Familie und denkt sich - nach dem ersten Schock - nun allerhand Kurioses aus, um wieder Kontakt zu seinem Sohn zu bekommen.

Das klingt auf den ersten Blick eher traurig als komisch. Aber wie Rinke seinen rührseligen Titelhelden langsam wieder ins Leben zurückfinden lässt, das hat viele aberwitzige Momente, die dem Leser ein Lächeln ins Gesicht zaubern. So will Pedro unbedingt den Literaturnobelpreisträger José Saramago überreden, der auf Lanzarote wohnt, den Roman »Die Stadt der Blinden« für seinen Sohn mit den Worten »vom Messi der Bücher« zu signieren. Besessen von dieser fixen Idee, blitzt er jedoch mehr als einmal bereits an der Tür bei der resoluten Haushälterin ab. Der kleine Miguel ist nämlich ein begeisterter Fußballfan, explizit von Barça und dem »göttlichen« Messi. Eine Eigenschaft, die er mit Rinke teilt, der in der deutschen Autorennationalmannschaft spielt und 2012 den wunderbaren Geschichtenband »Also sprach Metzelder zu Mertesacker...« herausbrachte.

Eine Hommage

Rinke erweist sich als feinsinniger Beobachter. So ganz nebenbei nimmt er die Nudistenbewegung, die im 21. Jahrhundert irgendwie aus der Zeit gefallen wirkt, humorvoll aufs Korn. Und er stellt Pedro, der irgendwo zwischen Naivität und Pfiffigkeit pendelt, mit Tenaro einen tolldreisten Freund zur Seite, der vollkommen absurde Pläne entwickelt, um seiner unfreiwilligen Arbeitslosigkeit als Fischer zu entrinnen. Zu den beiden gesellt sich dann noch eine Zeit lang der gebildete Flüchtling Amado, der irgendwann von Afrika nach Lanzarote gespült wird und genauso plötzlich wieder verschwindet.

Was genau am längsten Tag im Leben des Pedro Fernández García passiert, wird hier natürlich nicht verraten. Nur so viel: Pedro kommt einem gut gehüteten Familiengeheimnis - der Nazi-Vergangenheit seines Großvaters - auf die Spur, und es gibt ein zartes Happy End mit einem Wermutstropfen. Eine wundervolle Hommage an die schwarze Lava-Schönheit Lanzarote!

Moritz Rinke: »Der längste Tag im Leben des Pedro Fernández García«. Verlag Kiepenheuer & Witsch. 436 S., 24 Euro, ISBN 978-3-462-05452-1

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Moritz Rinke © Red

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