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Höchst wundersame Abenteuer

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Von: Marion Schwarzmann

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Werner Köhler FOTO: STEFAN WORRING © Red

1929 verließen Lore Strauch und Dr. Friedrich Ritter in Berlin ihre jeweiligen Ehepartner, um auf der Galápagosinsel Floreana im Pazifischen Ozean ihr Glück zu suchen. Drei Jahre später taucht dort in der Einsamkeit eine obskure österreichische Baronin mit ihren beiden Liebhabern auf. Nur Lore Strauch kehrt 1934 nach Berlin zurück. Alle anderen sind tot oder verschollen.

Was war geschehen?

Als der Kölner Autor Werner Köhler 2014 das erste Mal etwas über die sogenannte Galápagos-Affäre las, lässt ihn diese abstruse Geschichte nicht mehr los. Hatten diese extravaganten Aussteiger schon seinerzeit Journalisten angelockt, die mit dieser außergewöhnlichen Story die Fantasie ihrer Zeitungsleser befeuerten, so regten die Geschehnisse Schriftsteller wie Georges Simenon zu seinem Roman »Das Geheimnis der Galápagos-Inseln« und Felix Mitterer zu dem Drama »Galápagos« an, das 2017 am Wiener Theater in der Josefstadt uraufgeführt wurde.

Bestechende Sprache und Herz

Köhler strickt aus den belegten Tatsachen nun seine ganz eigene wundersame Abenteuergeschichte »Die dritte Quelle«. Er schickt den Hamburger Bankangestellten Harald Steen um die Jahrtausendwende auf ein Containerschiff nach Ecuador, denn der 64-Jährige ist von dem Gedanken beseelt, dass Lore Strauch seine leibliche Mutter ist. Das Rätsel um seinen Vater hofft er, auf Floreana lösen zu können. Steen ist alles andere als ein wackerer Held. Lang, dünn, blass und verschwiegen erträgt er die mühsame Überfahrt im Bauch des Schiffes, im Gepäck eine überdimensionierte Seemannskiste, deren Inhalt ihm im Dschungel von Floreana hilfreich sein soll. Denn Steen, der als Waisenkind bei Pflegeeltern in Hamburg aufwuchs, hat sich geschworen, so wie seine mutmaßlichen Vorfahren zu leben und dabei behutsam Nachforschungen über seinen Erzeuger anzustellen. Denn noch lebt auf Floreana die einzige Zeitzeugin aus den 1930er Jahren: Die weit über 90 Jahre alte Margot Wittmer, deren Familie einst aus Köln auswanderte und noch heute ein Hotel auf der Insel führt.

Steen wächst über sich selbst hinaus. Er stellt sich den Herausforderungen der unerbittlichen Natur mit ihren ganz eigenen Gesetzen, will die fruchtbare Erde des Urwaldes mit seinen eigenen Händen und einfachsten Hilfsmitteln urbar machen. Das sorgt für vielerlei Schmerzen und gefährliche Blessuren. In durchwachten Nächten verrutschen da schon mal Fiktion und Wirklichkeit.

Wie Werner Köhler diesen Selbstfindungsprozess mit seinen Rückschlägen beschreibt, muss einen unwillkürlich in den Bann ziehen. Der Autor, der im Jahr 2000 in Köln das renommierte Literaturfestival lit.Cologne mitbegründete, verfügt über eine bestechende Sprache, mit der er detailgenau das unbarmherzige Leben auf dem abgelegenen Eiland schildert, das seine wenigen Bewohner abgestumpft zu seltsamen Käuzen geformt hat.

Aber der 66-jährige Schriftsteller zeigt auch Herz und schenkt dem spröden Antihelden auf seine alten Tage noch unverhofft die große Liebe. Der zauberhafte Abenteuerroman unserer Zeit nimmt etliche unvermutete Wendungen und beglückt sogar mit einem zarten Happy End. Was will man mehr!

Werner Köhler: »Die dritte Quelle«, Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln. 430 S., 22 Euro, ISBN 978-3-462-00114-3

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Winzig und unwirtlich: Die Landschaft auf dem Galápagosinselchen Floreana, aufgenommen 2011. FOTO: DPA © DPA Deutsche Presseagentur

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