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Ein Schaukelpferd für 25 000 Mark

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Das Archivbild von 1923 zeigt das Abwiegen der Geldscheine , die während der Inflation nur noch Makulatur waren. Die Währung lag am Boden, die Preise stiegen ins Uferlose. Es herrschen Hunger und Elend. ARCHIV © DPA Deutsche Presseagentur

Kinder, die mit Geldtürmen spielen, Schubkarren voller Scheine, Brot, das Milliarden kostet: Die Bilder aus der Hyperinflation vor 100 Jahren kennt noch heute so gut wie jeder Deutsche. Darüber, wie die Menschen das Weihnachtsfest damals empfunden haben, spricht der Autor Frank Stocker.

Der Journalist und Historiker Frank Stocker hat ein Buch über die Zeit der Hyperinflation geschrieben, die das Weihnachtsfest 1922 überschattete. »Die Inflation von 1923. Wie es zur größten deutschen Geldkatastrophe kam« erzählt, warum die Menschen damals dennoch hoffnungsvoll waren.

Herr Stocker, die Weihnachtslaune ist dieses Jahr gedämpft. Wegen des Kriegs in der Ukraine, aber auch wegen der Teuerung. Vor 100 Jahren hatten wir schon einmal eine enorme Inflation. Wie war die Stimmung damals?

Im Dezember 1922 gab es noch Hoffnung. Die Preise waren zwar schon explodiert, aber das dicke Ende kam erst noch. Erst im Jahr 1923 wurden die irren Beträge mit Millionen, Milliarden und Billionen erreicht. Im Dezember 1922 kostete ein Dollar 8000 Mark, im November 1923 dann 4,2 Billionen Mark.

Wie war Weihnachten 1922 für die Deutschen?

Schaukelpferde waren beliebte Geschenke für die Kinder, sie kosteten etwa 25 000 Mark - ein halbes Monatsgehalt für einen gelernten Arbeiter. Der Baum selbst lag bei 500 bis 1000 Mark, ein Jahr davor waren es noch zehn bis 40 Mark gewesen. Traditionell gab es meist Weihnachtskarpfen. Doch Fische waren Ende 1922 drastisch teurer geworden. Deshalb wechselten viele zu Fleisch: Beliebt war Kasseler, für 800 Mark je Pfund. Wer backen wollte, der musste oft an der Butter sparen, denn die war mit rund 1500 Mark je Pfund extrem teuer.

Woher kamen die hohen Inflationsraten eigentlich?

Der Erste Weltkrieg war mit Krediten finanziert worden, die nach dem Sieg von den Gegnern bezahlt werden sollten. Doch Deutschland verlor den Krieg und musste nun selbst Reparationen zahlen. Zudem musste es große Gebiete abtreten und rund fünf Prozent der Bevölkerung dauerhaft versorgen, die kriegsversehrt oder Hinterbliebene waren. Die finanziellen Lasten waren also gigantisch. Der Staat machte ständig riesige Defizite, und die Reichsbank druckte das nicht vorhandene Geld einfach. Als Deutschland dann Ende 1922 die Reparationen nicht mehr bezahlen konnte, besetzte Frankreich im Januar 1923 das Ruhrgebiet. Berlin rief die Menschen dort zum Generalstreik auf und versprach, die Gehälter zu bezahlen - von Geld, das man nicht hatte. Ab da rotierten die Notenpressen in immer schnellerem Tempo und zerstörten die Währung völlig. Bis dann Ende 1923 der Ruhrkampf aufgegeben, der Staatshaushalt radikal zusammengestrichen und eine neue Währung, die Rentenmark, eingeführt wurde. Da endete die Inflation über Nacht.

Wen traf die Inflation besonders?

Am stärksten die obere Mittelschicht, die gewisse Ersparnisse hatte. Denn die wurden von der Inflation vernichtet. Die Arbeiter lebten ohnehin meist von der Hand in den Mund, und da die Gehälter parallel zu den Preisen stiegen, war das für sie erträglich. Zumindest, bis die Preise sich täglich verdoppelten und die Gehälter nicht mehr mithalten konnten. Die Reichen hatten meist Aktien oder ganze Unternehmen. Deren Wert blieb erhalten.

Es gab damals eine große Wut auf Inflationsgewinner, oder?

Personifiziert wurden die durch Hugo Stinnes, er war quasi der deutsche Elon Musk. Er hatte sich nach dem Krieg ein gigantisches Industrieimperium zusammengekauft. Finanziert hatte er das alles auf Pump - und diese Schulden lösten sich durch die Inflation in Luft auf. Aber Gewinner waren auch alle anderen Kreditnehmer.

Hat das die Gesellschaft gespalten?

Einerseits ja. Radikale von rechts und von links erhielten Auftrieb. Das mündete im November 1923 im Hitler-Putsch und in Sachsen in einem kommunistischen Umsturzversuch. Andererseits nivellierte die Inflation die Gesellschaft. Am Ende war die Mehrheit finanziell auf einem ähnlichen, niedrigen Niveau vereint.

Die Regierung versuchte immer wieder, der Inflation oft durch kuriose Maßnahmen Herr zu werden.

Es war das klassische Problem: Die Regierung kuriert an den Symptomen herum, statt die Ursachen anzugehen. »Lustbarkeiten« - so hieß das damals - wurden verboten, weil Inflationsgewinner nicht feiern sollten, während andere darbten. Deshalb gab es Tanzverbote und Schlemmersteuern, in Restaurants durfte jedem Gast nur ein Fleischgericht serviert werden. In Bayern wurden auch Trachtenfeste untersagt. Und man versuchte mit allen möglichen Mitteln Wucher zu unterbinden, weil man das als eine Ursache der Inflation sah. Bloß konnte man nie so genau feststellen, wann Wucher eigentlich anfängt. Und natürlich stiegen die Preise nicht wegen der Wucherer, sondern wegen des Gelddruckens der Regierung.

Heute versucht man Härten mit der Gas- und Strompreisbremse oder dem Energiegeld abzufedern. Ist das aus Ihrer Sicht ein besseres Mittel?

Ja. Das kann eine Lohn-Preis-Spirale verhindern. Und das ist entscheidend, wenn man verhindern will, dass sich die Inflation festfrisst.

Sind unsere Sorgen und Nöte immer noch so existenziell wie damals?

Im Vergleich zu 1922/23 leben selbst die Ärmsten heutzutage geradezu paradiesisch. Im Herbst 1923 kam es zu Hungerrevolten, Menschen zogen aufs Land und versuchten verzweifelt bei den Bauern irgendetwas Essbares zu erhalten. Und wer jahrzehntelang für den Lebensabend gespart hatte, stand nach 1923 vor dem Nichts. Nichts davon sehen wir heute.

1923 wurde das Jahr der Hyperinflation, in dem Deutsche ihr Geld mit dem Schubkarren zum Bäcker brachten. Prägt uns das bis heute?

Ja, die Geschichten von damals werden bis heute in den Familien weitererzählt. Und aus diesen Erlebnissen rührt die fast schon panische deutsche Angst vor Inflation und auch die Ablehnung von Schulden, sowohl im Privaten und erst recht, wenn es um den Staat geht. In den meisten anderen Ländern auf der Welt ist man in dieser Hinsicht weit entspannter.

Gibt es etwas, das wir aus der Hyperinflation vor 100 Jahren lernen können?

Vielleicht, dass es eine Verkettung vieler, vieler ungünstiger Umstände und einer gigantischen Ansammlung von Problemen bedarf, damit eine Hyperinflation entsteht. Im Vergleich zur Lage Ende 1922 sind unsere heutigen wirtschaftlichen Probleme aber geradezu banal.

Frank Stocker: Die Inflation von 1923. Wie es zur größten deutschen Geldkatastrophe kam. Finanzbuch Verlag, 368 Seiten, 27 Euro, ISBN 978-3-95972-564-4

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_9783959725644_241222_4c © Red
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