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documenta verbannt Gemälde

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Die Kunst verschwindet : Die Darstellung "People's Justice" (2002) des Kollektivs Taring Padi wurde erst verhüllt und gestern schließlich ganz abgebaut. © dpa

Die Proteste gegen antisemitische Ausfälle zeigen Wirkung

Kassel -Die Installation des indonesischen Künstlerkollektivs war nur wenige Tage zu sehen. Erst blieb sie unbemerkt. Dann geriet "People's Justice" unter dem Vorwurf des Antisemitismus in die Kritik und zu einem Skandal, der Konsequenzen zeitigte: Das Bild auf der documenta fifteen in Kassel wurde erst verhüllt und gestern schließlich komplett entfernt. Gleichwohl werden Rufe nach einer Aufarbeitung des Eklats immer lauter.

Auf der großflächigen Banner-Installation "People's Justice" des indonesischen Künstlerkollektivs Taring Padi ist unter anderem ein Mann in Anzug und Krawatte zu sehen, haifischartige Raffzähne ragen aus dem Mund, daneben eine Zigarre. Eine angedeutete Schläfenlocke hängt herunter, auf dem Hut prangt die SS-Rune. Auf einem anderen Detail wird unter einem Kanonenrohr eine Person in Uniform gezeigt, sie trägt die Nase eines Schweins, das bei gläubigen Juden als unrein gilt. Auf dem roten Halstuch ist der Davidstern zu sehen, auf dem Helm der Name des israelischen Geheimdienstes Mossad.

Gestern verkündete Kassels Oberbürgermeister Christian Geselle (SPD), dass das Gemälde entfernt werde: "Ich bin wütend, ich bin enttäuscht. Denn die Stadt Kassel und ich als Oberbürgermeister, wir fühlen uns beschämt", sagte Geselle. "Es ist etwas passiert, was nicht hätte passieren dürfen." Die Installation weise einen eindeutigen antisemitischen Zusammenhang auf.

Dem kuratierenden Kollektiv Ruangrupa war schon seit Monaten Antisemitismus vorgeworfen worden. Die Gruppe habe seit Beginn der Debatte aber immer versichert, dass Antisemitismus, Rassismus oder Gewalt keinen Platz auf der documenta haben würden, betonte Geselle. "In diesem einen Fall sind sie ihrer Verantwortung ganz offensichtlich nicht gerecht geworden."

"Die Verantwortlichen müssen dafür Sorge tragen, dass aufgearbeitet wird, wie ein solches Bild überhaupt aufgehangen werden konnte", sagte die Vorsitzende des Förderkreises "Denkmal für die ermordeten Juden Europas", Lea Rosh. Sie sprach in Bezug auf die documenta von "Antisemitismus mit langer Ansage". Seit Monaten seien die Verantwortlichen aufgefordert, "den sich ankündigenden Antisemitismus auf der documenta zu verhindern. Genauso lange wird beschwichtigt, ignoriert und wegmoderiert".

Auch Kulturstaatsministerin Claudia Roth (Grüne) hatte sich für die Entfernung der umstrittenen Banner-Installation ausgesprochen. Das Werk weise eindeutig antisemitische Bildelemente auf. Die bloße Verhüllung und die Erklärung des Künstlerkollektivs Taring Padi dazu seien inakzeptabel. Zudem müsse geklärt werden, wie es zu der Installation dieses Bildes überhaupt habe kommen können. Die Verantwortlichen müssten weiterhin sicherstellen, dass auf der Ausstellung in Kassel nicht weitere "eindeutig antisemitische Bildelemente" gezeigt würden.

Das Internationale Auschwitz Komitee rief zum Dialog mit den Künstlern auf. "Es wird höchste Zeit, im Rahmen dieser documenta ein Gespräch zu beginnen, die Künstler zu hören, aus welcher Weltsicht diese Bilder so entstanden sind, und seitens der documenta öffentlich zu erklären, warum diese Bilder hier auf Widerstand und Ablehnung stoßen", erklärte Christoph Heubner, der Exekutiv-Vizepräsident des Internationalen Auschwitz Komitees.

Hessens Kunstministerin Angela Dorn (Grüne) sieht durch den Eklat schwerwiegende Auswirkungen. "Das Kunstwerk enthält antisemitische Chiffren, von denen Jüdinnen und Juden sich zu Recht verletzt fühlen", erklärte Dorn. "Der bereits entstandene Schaden ist nicht zu relativieren", sagte Dorn. Das Banner war erst installiert worden, nachdem viele Journalisten und Fachbesucher die documenta vorbesichtigt hatten. Der angegebene Grund für die Verspätung: notwendige restauratorische Maßnahmen aufgrund von Lagerschäden. Das Werk wurde nicht für die documenta fifteen angefertigt, sondern war bereits 2002 erstmals auf dem South Australia Art Festival in Adelaide zu sehen.

Das indonesische Kollektiv Taring Padi erklärte: "Unsere Arbeiten enthalten keine Inhalte, die darauf abzielen, irgendwelche Bevölkerungsgruppen auf negative Weise darzustellen. Die Figuren, Zeichen, Karikaturen und andere visuellen Vokabeln in den Werken sind kulturspezifisch auf unsere eigenen Erfahrungen bezogen." Das Bild sei Teil einer Kampagne gegen Militarismus und Gewalt, die die Gruppe während der 32-jährigen Militärdiktatur zwischen 1966 und 1998 in Indonesien erlebt hätte, die sich bis heute auswirke. dpa

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