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Diskursiver Slapstick

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Philosoph Peter Sloterdijk in Signierlaune. © A. P. Englert

Die Philosophen Peter Sloterdijk und Peter Trawny über den Skandal um Heideggers Schwarze Hefte

Frankfurt -38 Stockwerke über der Erde sieht die Welt anders aus. Während unten auf dem Opernplatzfest Angestellte aus den umliegenden Bankhochhäusern den Feierabend begießen, atmen knapp 170 Meter höher im Opernturm, in dem die USB Europe SE ihren Sitz hat, späte Gäste die dünne Luft der Philosophie: Heidegger - Schwarze Hefte, kein Thema für Weinseligkeit.

Das literarische Wolkenkratzer-Festival "Literaturm" hatte zwei Virtuosen des gedanklichen Höhenflugs verpflichtet, die zum Abschluss der Gesamtausgabe im Klostermann-Verlag posthum erschienenen Notizen Heideggers abermals zu sichten und den sich um sie rankenden Skandal zu überprüfen: Peter Trawny, den Herausgeber der berüchtigten Schwarzen Hefte, sowie den intellektuellen Gipfelstürmer Peter Sloterdijk, der soeben 75 ward und eine bunte "Farbenlehre" zum Thema Grau publiziert hat.

Die von dem Schwarzwälder "Sein-und-Zeit-Philosophen" Martin Heidegger (1889-1976) zur Veröffentlichung erst nach seinem Tode bestimmten Hefte haben seit 2014 zu einem in der neueren Philosophiegeschichte beispiellosen Exorzismusversuch geführt: Heidegger, einst als größter Geistesheld des 20. Jahrhunderts verklärt, galt plötzlich, obwohl wegen seiner zeitweiligen offenen Parteinahme für Hitler und den Nationalsozialismus seit je unter Verdacht, seinen Kritikern nun als vollständig erledigt, ein für allemal, sein Denken nicht nur als nationalsozialistisch verseucht, sondern zuinnerst selbst nationalsozialistisch, als nationalsozialistischer gar als der Nationalsozialismus selbst: Der finstere Befund gründete vor allem auf derb antisemitischen Passagen in den Schwarzen Heften, die ihren Namen der Farbe des Einbands verdanken und den Zeitraum der Jahre 1931 bis 1975 umfassen.

Trawnys Frage, ob die Publikation der Schwarzen Hefte seinerzeit einen Schock bei ihm ausgelöst habe, wurde von Sloterdijk in der ihm eigenen Art halb weggelächelt, halb weggenuschelt.

Sloterdijk malte bei einem Glas Weißwein genüsslich Heideggers Dekadenzdiagnose einer Gesellschaft in finsterer Seinsvergessenheit aus, die sich von keiner Sendung, keiner Mission mehr ergriffen oder beauftragt wisse, sondern sich wabernder Angst und Langeweile überlasse, was der selbsternannte "Weltarzt" Heidegger auch als ein unangenehmes "Schlürfen" des dumpfen Massenmenschen wahrgenommen habe. Trawny gab sich redlich Mühe, mit Hinweisen auf Corona, den Krieg in der Ukraine oder den Klimawandel, die doch wohl genug Aufträge für den Menschen bereithielten, die Aufmerksamkeit auf den existenziellen Ernst des Messkircher Denkers zu richten, fand aber beim an diesem Abend durchaus heiter gestimmten Sloterdijk nicht vollends Gehör.

Der Karlsruher war geneigt, Heidegger "ernste Eulenspiegeleien" nachzusagen, einen Hang zum "diskursiven Slapstick". Er verglich Heidegger mit einem "Punkmusiker", der sich vergeblich abmühe. Die späten lyrischen Sprachgebilde des Philosophen in den Heften kennzeichnete Sloterdijk als "Privatpoesie", in die man nur "mit verzweifelt gutem Willen" eindringen könne. Menschen, die das verstehen könnten, seien noch nicht geboren.

Es sprach eine fast altersweise, zum Humoristischen neigende Gelassenheit aus Sloterdijks ironischen Improvisationen über den "Fall Heidegger". Auch so kann man ihn beschließen.

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