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Die Schlacht von Höchst

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Weinfässer - und nicht wie oft behauptet Fischerkähne - sollen es gewesen sein, aus denen die braunschweigischen Truppen eine Brücke über den Main gebaut haben. Für viele Soldaten brachte sie den Tod, denn sie brach, die Männer ertranken. © DPA Deutsche Presseagentur

Wo die Höchster die wahren Helden waren: Der Autor Markus Pfenninger lässt eine der entscheidenden Schlachten des Dreißigjährigen Krieges lebendig werden.

Irgendwann zu Beginn der Corona-Pandemie ist Markus Pfenninger das Manuskript eines Referats wieder in die Hände gefallen, das er als Oberstufenschüler am Höchster Friedrich-Dessauer-Gymnasium (FDG) gehalten hat; ein Referat um die »Schlacht bei Höchst« anno 1622, also vor nunmehr 400 Jahren. »Ich wollte auf einmal wissen, wie der heutige Forschungsstand ist, und habe schnell festgestellt: Es war alles unbefriedigend«, sagt Pfenninger. Also hat er angefangen, an seine Schülerarbeit anzuknüpfen und selbst zu recherchieren. Und dann? »Dann gerieten die Dinge ein wenig außer Kontrolle, und etwa 6000 gelesene Seiten später stand für mich fest, dass diese fast vergessene Geschichte neu erzählt werden muss.«

Er forscht zum Klimawandel

Pfenninger hat sich seit Kindertagen für Geschichte begeistern können und sein Abitur am Dessauer-Gymnasium in den Leistungskursen Geschichte und Biologie abgelegt. Das zweite Fach gewann überhand, und der Schüler Markus Pfenninger aus der Windthorststraße, Jahrgang 1967, ist heute Professor für Molekulare Ökologie am Senckenberg-Biodiversität- und Klimaforschungszentrum, wo er sich mit der Anpassung des Genoms im Klimawandel befasst, etwa, um die Buchenbestände fit für die globale Erwärmung zu machen.

Sein geschichtliches Interesse war von seinem Vater geweckt worden, der ihm Gute-Nacht-Geschichten vom Trojanischen Krieg und Odysseus erzählte. Geschichte, das sind für ihn keine trockenen Fakten, sondern im wahrsten Sinne des Wortes Geschichten, die faszinieren und begeistern. Schon bald hatten es ihm historische Romane angetan, etwa von Rosemary Sutcliff, die mit ihren Jugendbüchern über die römische Besatzungszeit Britanniens hinlänglich bekannt wurde.

Heute liest er in seiner Freizeit historische Sachbücher ebenso wie Romane von Bernhard Cornwell, Christian Cameron oder Robert Fabbri - Hauptsache, sie sind ordentlich recherchiert, sprich: Die Fakten müssen stimmen. Seinem alten Geschichtslehrer Klaus Richter ist es gelungen, diese Leidenschaft zu befeuern, mit der er an sein eigenes Buch gegangen ist. Zwar hat er schon reichlich zu Biologie-Themen publiziert, aber eben noch nie zu einem historischen Sujet. Und was ihm besonders gelungen ist, das könnte man so umschreiben: Er macht eine Zeit wieder lebendig, in die sich heute kaum jemand zurückversetzen kann. So erklärt er auch, woher der Begriff »von der Pike auf« stammt: Soldaten im Dreißigjährigen Krieg mussten erst den Umgang mit der Stangenwaffe lernen, bevor man sie an anderen Gerätschaften der Kriegskunst ausbildete.

Doch warum der Dreißigjährige Krieg, der so lange her ist? Weil er das Land entscheidend geprägt hat, sowohl von der Sprache her wie auch vom kollektiven Empfinden. Die Schlacht bei Höchst war eine der entscheidenden Auseinandersetzungen dieses Krieges, der von 1618 bis 1648 währte. Basierend auf einer umfassenden Quellenrecherche hat Pfenninger die Abläufe zum ersten Mal detailliert rekons-truiert. Das mit zeitgenössischen Abbildungen illustrierte Buch beschreibt verständlich die Gesellschaft und den Alltag der Menschen im 17. Jahrhundert.

Auch mit einigen Legenden räumt der Autor auf: So hat er eine Quelle gefunden, in der eindeutig belegt ist, dass eine in der Schlacht eine entscheidende Rolle spielende Hilfsbrücke, die von braunschweigischen Truppen auf Höhe des Ochsenturms über den Main geschlagen wurde, aus Weinfässern und nicht, wie anderswo festgehalten, aus Fischerkähnen bestand. Die Brücke brach, und viele Soldaten ertranken in ihren schweren Harnischen im Fluss.

Dass keine Kähne die Grundlage sein konnten, war eigentlich logisch: Die Höchster hatten damals den in Eilmärschen herangeeilten und völlig ausgepumpten braunschweigischen Truppen erst Widerstand geboten und sich dann, als die Braunschweiger sich im Schatten der Bäume nördlich der Stadt ausruhten, klammheimlich durchs Maintor verabschiedet und mit Booten die Flucht ergriffen. »Es gab nicht so viele Fischer und Schiffer in Höchst«, sagt Pfenninger, der von maximal 20 Nachen ausgeht, und beruft sich auf eine Namensliste der Fischer- und Schiffer-Familien von 1608. Große Fässer gab es aber genug.

Die Höchster, die den Braunschweigern erst Widerstand leisteten und die Stadt hielten, damit die Truppen Feldmarschall Tillys aufschließen konnten, und die dann aber, weil militärisch weit unterlegen, durch ihre Flucht ein Gemetzel verhinderten, sind für ihn »die wahren Helden der Schlacht«: Sie haben militärisch ein Maximum herausgeholt, ohne Opfer bringen zu müssen - anders als die Braunschweiger.

Dank Digitalisierung neue Möglichkeiten

Die besten Ideen, sagt Pfenninger, der mit seiner Frau in Königstein lebt, habe er auf langen Spaziergängen mit seinem Entlebucher Sennenhund. Davon profitierten auch seine Forschungen. Fasziniert ist er von der wachsenden Bedeutung der fortschreitenden Digitalisierung vieler Bibliotheksbestände, die heute Originalquellen weltweit zugänglich mache. Bei ihm waren es etwa barockspanische Briefe, die ihm Aufschlüsse zur Schlacht lieferten. Wenn er weder auf biologischem noch auf historischem Gebiet forscht, verbringt er seine Zeit mit Kochen, Bogenschießen, Jagen und Lesen. Und das nächste Projekt? Er könne sich vorstellen, ein populärwissenschaftliches Buch zur Evolutionsbiologie zu schreiben, sagt Pfenninger. Und dann wäre da noch die »Schlacht von Bergen« am 13. April 1759, quasi ein weiteres »Frankfurter Thema«. Pfenninger grinst: Ich hab festgestellt, dass ich darüber herzlich wenig wei߅«

Markus Pfenninger: »1622 - Die Schlacht von Höchst. Ein Bericht aus dem Dreißigjährigen Krieg«, Verlag tredition, Hamburg, 210 Seiten, mit Bildern und Karten, ISBN 978-3-347-55464-1 (Softcover) und 978-3-347-55465-8 (Hardcover), 26,95 Euro.

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_9783347554641_020722_4c © Red

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