Die braune Wirtschaftselite

John Heartfield bildete in einer berühmten Fotomontage schon 1932 Adolf Hitler mit erhobener Hand ab, in die ein Industrieller Geldscheine blättert: »Der Sinn des Hitler-Grußes.« In Anlehnung an die Dimitroff-These des Faschismus als Diktatur des Finanzkapitals stand nach 1945 in der DDR fest, dass Kapitalisten den Aufstieg der Nazis finanziert hätten.
Auch die US-Besatzungsmacht hatte die Entnazifizierung der deutschen Wirtschaft im Blick, drei Nachfolgeprozesse vor dem Nürnberger Militärtribunal richteten sich explizit gegen Großkonzerne (Flick, Krupp, IG Farben). Dagegen konnten sich in der Bundesrepublik in den 50er und 60er Jahren Unternehmer als unpolitische Technokraten darstellen und ihre Rehabilitierung erreichen. Zwangsarbeit und Arisierungen spielten in den Selbstdarstellungen jener Zeit noch keine Rolle.
Der Blickwinkel veränderte sich erst allmählich, einzelne Unternehmen gerieten stärker in den Blick. Doch die Gesamtheit der Unternehmer und Manager wurde, während es zu Lehrern, Beamten oder Medizinern bereits zahlreiche Untersuchungen gibt, erstaunlicherweise noch nie erforscht. Das im Campus Verlag erschienene Buch des Trierer Soziologen Paul Windolf und des Münchner Historikers Christian Marx füllt nun diese Forschungslücke, indem es einen umfassenden Datensatz statistisch auswertet.
Laut Stichprobe lag der Anteil der NSDAP-Mitglieder unter allen Vorstands- und Aufsichtsratsmitgliedern der deutschen Großunternehmen der Jahre 1933 und 1938 bei 37 Prozent - und damit mehr als dreimal so hoch wie im Durchschnitt der deutschen Bevölkerung. »Die braune Wirtschaftselite«, lautet daher der Titel, weil sie mit dem Parteieintritt - zu dem niemand gezwungen wurde - »eine zumindest formale Loyalitätserklärung gegenüber einem totalitären Regime« abgaben.
Antisemitismus war schon hoffähig
Das Werk untersucht nicht detailliert die Motive, warum in der Mehrzahl »moralisch indifferente Kapitalisten« so häufig zu »Kollaborateuren« wurden. Doch hatten sie mehrheitlich schon vor der Nazi-Machtübernahme 1933 die Idee einer Hegemonie Deutschlands befürwortet, die Parteiendemokratie abgelehnt und die SPD als inneren Feind betrachtet. Daher begrüßten viele Wirtschaftsbosse die Zerschlagung des Parteien- und Gewerkschaftsstaates, auch wenn sie Hitler ablehnend gegenübergestanden hatten, zudem profitierten sie im Dritten Reich von Aufrüstung, Zwangsarbeit und Arisierungen. Auch Antisemitismus war in den Eliten schon lange hoffähig.
Jüdische Unternehmer
Doch machen die Autoren auch deutlich, dass von »den« Kapitalisten nicht die Rede sein kann: Schließlich waren Ende der 20er Jahre 27 Prozent der Mitglieder in Führungsorganen von Großunternehmen jüdisch, gehörten also zu den späteren Opfern. Auch muss man zusätzlich zur statistischen Auswertung differenzieren: Es gab überzeugte Nazis schon vor 1933 (weniger als ein Fünftel der Mitglieder unter Unternehmern und Managern war vor der Machtergreifung beigetreten) und NSDAP-Mitglieder, die wie der Bankier Cornelius von Berenberg-Gossler wieder austraten; Bosch-Geschäftsführer Hans Walz finanzierte als Parteigenosse die Auswanderung von Juden und wurde von Israel als »Gerechter unter den Völkern« geehrt.
Manch Partei-Karrierist war nur durch Ämterpatronage in einen Aufsichtsrat gelangt. Der Unternehmer Günther Quandt trat erst in die Partei ein, als Propagandaminister Joseph Goebbels (Ehemann seiner Ex-Frau Magda) drohte, den Kontakt zum Sohn zu unterbinden. Dagegen trat Deutsche-Bank-Vorstand Georg Emil von Stauß nie der Partei bei. Laut Harold James war der Vizepräsident des Reichstags das »politische Alibi« der Bank, mit dem sie ihren Willen zur Anpassung zeigte und gleichzeitig Einmischung in die Geschäftspolitik verhindern wollte. Die Deutsche Bank wiede-rum, die 1970 auf Enthüllungen eines DDR-Historikers noch mit Klagen reagiert hatte, entschied sich 1985 nach der Übernahme des Flick-Konzerns für eine Entschädigungszahlung an die Jewish Claims Conference - während Friedrich Flick das stets abgelehnt hatte. »Der Versuch der Unternehmen, einen Schlussstrich unter die Forderungen nach Wiedergutmachung zu ziehen, war damit gescheitert«, so die Autoren.
Mittlerweile herrsche Konsens über die »beträchtlichen Handlungsspielräume«, die Unternehmensleitungen hatten. Das bedeutet im Umkehrschluss: Wer sich, meist aus opportunistischen Motiven, für Kollaboration entschied (und das war die große Mehrheit), hat sich schuldig gemacht: »Die Entscheidung der Unternehmer und Manager für das NS-Regime und ihre Kollaboration führten in die Katastrophe.« Schon Adam Tooze hatte von »willigen Partnern« gesprochen. Dieses Verdikt haben Windolf und Marx nochmals in klarer und empirisch nachvollziehbarer Weise herausgearbeitet.
Die Rolle einzelner Familien
Besonders interessant wird es, wenn sie einzelne Familien in den Blick nehmen. Zum Beispiel das Darmstädter Chemie- und Pharmaunternehmen Merck: Von vier Familienmitgliedern in der Geschäftsführung trat nur Louis nicht in die NSDAP ein und riskierte 1941/42 einen Konflikt mit dem fünften Geschäftsführer Bernhard Pfotenhauer, der einst von der Danat-Bank gekommen war und enge Beziehungen zum Gauleiter von Hessen-Nassau, Jakob Sprenger, pflegte; Louis Merck musste mangels Unterstützung durch Bruder respektive Cousin seinen Posten abgeben. Karl Merck, der Vorsitzender der Geschäftsleitung blieb, war als Mitglied im Sachverständigenbeirat im Hauptamt für Volksgesundheit mitschuldig an den Euthanasie-Morden. Der Frankfurter Bankier Max von Grunelius, der mit seinen Söhnen der Partei beitrat, habe sich aktiv um die Arisierung von Privatbanken bemüht. Hoesch-Generaldirektor Fritz Springorum saß bis zu seinem Tod 1942 für die NSDAP im Reichstag, dessen Sohn und Erbe Walter (Hoesch-Aufsichtsrat bis 1962) wurde als Regierungspräsident von Kattowitz (wozu Auschwitz gehörte) »zum Mittäter der NS-Verbrechen«. Ebenso IG-Farben-Aufsichtsratschef Carl Krauch, wegen der Ausbeutung von Zwangsarbeitern als Kriegsverbrecher 1948 zu sechs Jahren Haft verurteilt, oder Dresdner-Bank-Vorstandssprecher Karl Rasche, der wegen seiner Rolle bei der Ausplünderung der Tschechoslowakei sieben Jahre bekam.
Dagegen gehörte der Sohn des Gründers der Frankfurter Metallgesellschaft zu den Opfern: Richard Merton, bis 1937 Aufsichtsrat auch der Degussa, wurde 1938 mehrere Monate im KZ Buchenwald interniert und musste sein Vermögen abgeben; am Ende konnte er ausreisen. Thomas Baumgartner
Paul Windolf, Christian Marx: Die braune Wirtschaftselite. Campus, Frankfurt, 457 Seiten, 39 Euro. ISBN 978-3-593-51559-5
