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Der letzte Urknall

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Auf ihrer Abschiedstournee machen Kiss in der Frankfurter Festhalle Station

Frankfurt -Natürlich kommt der Moment, da in diesem Sturm aus Donner, waberndem Gewölk und höllenfeuerartigen Stichflammen ganz kurz der Gedanke aufblitzt: Was, wenn jetzt einer in diesem Tohuwabohu die Orientierung verliert oder auf diesen monströsen Plateauschuhen ausgleitet und hinschlägt - Kreuzbandriss? Oberschenkelhalsbruch? Sänger Paul Stanley ist 70, Bassist Gene Simmons zwei Jahre älter. Seit fast 50 Jahren stehen sie auf der Bühne. Doch dazu wird es, so der Rock-Gott will, nicht kommen. Es ist die letzte Tour: "End Of The Road". Und an diesem gigantischen Abend zeigt sich, sie waren - und sind noch - eine der "hottest bands in the world": Kiss.

In der ausverkauften Festhalle können sich viele noch an die Aufregung in der "Bravo" erinnern, damals das Magazin mit den heißesten Nachrichten aus der Szene: Ist das jetzt Klamauk, futuristisches Theater oder der schreiende Wahnsinn? Ist das noch Rock 'n' Roll oder Astronautenmetal? Ist die Fledermaus cooler oder die Katze? Was bedeutet das Rosen-Tattoo auf Pauls Oberarm? Jetzt steht Stanley auf der Bühne in Frankfurt - dem Zeitgeist zum Trotz ist keine Tätowierung dazu gekommen -, und es ist, als wäre nicht mal ein Jahr vergangen: Die Masken scheinen alterslos. Stanleys Brusthaar ist dicht (und schwarz) wie einst, Simmons' Zunge noch immer unbegreiflich lang, spitz und schlabberig. Die Band ist in Top-Form, nur, dass - mittlerweile auch schon seit Jahrzehnten - statt Peter Criss Eric Singer trommelt, und nicht mehr Ace Frehley, sondern Thommy Thayer famos auf der Leadgitarre herumzwirbelt.

Am Anfang steht verlässlich der Urknall: Der Vorhang mit dem Band-Logo fällt, durch Feuerregen und Sternschnuppenschauer fahren Starchild, Demon und Spaceman herab. Aus dem Getöse der Explosionen schälen sich die Riffs von "Detroit Rock City", wie es die Welt seit 1977 von der "Alive II" kennt. Aber natürlich ist alles in diesem Moment wieder viel mächtiger, rauschhafter, gewaltiger. "Shout It Out Loud", "Deuce", "War Machine" - die Fans singen alles mit, selbst die Soli. Mag sein, dass Kiss nie die allergrößten Songs geschrieben haben. Aber sie sind Vorläufer von so Vielem und Vielen, dass sie in anderen Bands nach- und mitklingen: Nirvana, Metallica, Slipknot, Rammstein oder Ghost, die den Mummenschanz, das glamouröse Kostüm-, Schminke-, Masken- und Pyrowesen in andere Richtungen weitertreiben.

Die Kiss-Show ist eine Materialschlacht, nach deren Öko-Bilanz man sich wohl lieber nicht erkundigt: Riesige Videowände, Laserlicht, schnelle Live-Kamera-Schnitte, Konfetti, Bälle und immer wieder Detonationen, die die aufgeheizte Luft in der Halle erzittern lassen.

Simmons beleckt leidenschaftlich das Mikrofon, stakst finster mit Monsterstiefeln und Brustpanzer umher, öffnet die Fledermausflügel und nickt mit dem Kopf wie ein prähistorischer Gockel - bis ihm Kunstblut aus dem Mund rinnt.

Stanley formt einen lippenstiftroten Kussmund, lässt, während er mit Druck die Rhythmusgitarre bearbeitet, erkennen, dass Muskelschwund bei ihm kein Thema ist. Zu den verdrucksten Schweigern gehört er ohnehin nicht. Er ist wunderbar bei Stimme, schreit, redet, plaudert viel und manchmal lang, das Publikum feuert er rastlos zum Mitmachen an. Das soll ihn nun mit lauten Paul-Rufen zu etwas einladen und hält - was ist das!? - plötzlich den Atem an: "Love Gun".

Der Mann mit der pechschwarzen Prachtmähne und dem Stern über dem Auge sichert die Gitarre, klemmt seinen klobigen Stiefelabsatz ins Liftgestänge und segelt über die Köpfe der ekstatisch wogenden Menge hinweg zu einer kleinen Rundbühne in der Hallenmitte, wo sich im grell strahlenden Scheinwerferlicht die Aufführung des populärsten und unwiderstehlichsten aller Partyhits von Kiss ereignet: "I Was Made For Loving You".

Mehr geht nicht - auch wenn noch drei Zugaben bis zum Finale mit "Rock And Roll All Nite" folgen. In zwei Stunden und zwei Dutzend Songs hat sich die US-Band schließlich durch ein jahre- und jahrzehntealtes Werk gespielt: "Calling Dr. Love", "Psycho Circus", "Black Diamond" - es hat grandios gekracht, gerummst und gezischt zum Abschied. Und alle in der Festhalle können glücklich sagen: Wir sind dabei gewesen.

Eltville -Der neue hessische Ministerpräsident Boris Rhein traf ins Schwarze, als er den Festivalmachern bei der festlichen Eröffnung des Rheingau-Musik-Festivals in der Basilika des Kloster Eberbach für die dargebotene "Lebensfreude pur" dankte.

In der Tat waren bei Alain Altinoglu und dem HR-Sinfonieorchester, dem kraftvoll auftrumpfenden MDR-Rundfunkchor und den drei brillanten Solisten sowohl in Dvoraks Märchendichtung "Das goldene Spinnrad" als auch in Mendelssohns Sinfonie-Kantate "Lobgesang" jede Menge Freude, Dankbarkeit und Erleichterung darüber zu spüren, dass nach zwei Pandemiejahren endlich Normalität in den Konzertsommer einziehen kann. Boris Rhein legte mit einer Forderung nach, die Chefdirigent Alain Altinglu gerne gehört haben wird. Mehrfach rief er dazu auf, das "weltbekannte Top-Orchester zu hegen und zu pflegen".

An dem illustren Konzertabend voll Polit-Prominenz - von Bundesinnenministerin Nancy Faeser bis Tarek Al-Wazir - war tatsächlich vieles fast zu schön, um wahr zu sein: volle Orchesterbesetzung und mächtiger Bühnenchor, alle Zuschauerreihen belegt. Wie anders im Vergleich zum letzten Sommer, als Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier vor Besuchern im Schachbrettmuster noch von "Entbehrungen, Einsamkeit und Tod" sprach. Es war Intendant Michael Herrmann allerdings dringendes Anliegen, in seinem Grußwort daran zu erinnern, dass "wir es 2020 ohne die Hilfe der Landesregierung, der 80 000 Käufer, die ihr Geld zum großen Teil nicht zurückerstattet haben wollten und ohne die großzügigen Sponsoren nicht geschafft hätten." Sicher deshalb lautet das diesjährige Festival-Motto auch "Zusammenhalt."

Mit Antonin Dvoraks Sinfonischer Dichtung "Das goldene Spinnrad" von 1896 feiere das RMF "die Vernichtung des Bösen" - nicht nur in Bezug auf die überstandene Pandemie, sondern gerade auch "mit Blick auf den 24.Februar", wie Herrmann durchblicken ließ. Altinoglu nutzte anschließend jede brillant illustrierte Passage Dvoraks, um das blutige Märchen des böhmischen Aschenbrödels Dornicka, das erst von der bösen Stiefmutter zerstückelt wird, um später umso schöner von den Toten aufzuerstehen, schwelgerisch süffig auszukosten. Vom zarten Geigenflirren der Liebenden, das Konzertmeister Florin Iliescu mit goldenem Schimmer überzog, über die mächtig kreisenden Tonfolgen des Spinnrades bis hin zum schmissig finalen Tanz der Hochzeitsgesellschaft: Altinoglu griff lustvoll in die Farbtöpfe.

Anschließend die merkwürdige Gattungsmischung Felix Mendelssohn-Bartholdys: In seiner zweiten Sinfonie "Lobgesang" B-Dur, op. 52 für Chor, Orchester und Orgel von 1839/1840 kreuzt er eine ouvertürenartige "Sinfonia" mit einer Kirchenkantate. Im Gedächtnis bleiben wird neben den in Eberbach bestens bekannten, bei jedem Konzert als Pausenunterbrecher genutzten Posaunenklängen der kraftvolle Choral "Alles, was Odem hat, lobe den Herren". Und die mehrfache, eindringliche, mal leidende, mal bange Frage von Tenors Matthew Swensen: "Hüter, ist die Nacht bald hin?" Ergreifend, als Katharina Konradis gleißender Sopran schließlich das erlösende "Die Nacht ist vergangen" intonierte.

Es passte zur positiven Stimmung, mit der die Festivalleitung bei einer Auslastung von jetzt 86 Prozent ihrer 134 Konzerte auf den Sommer blickt.

Berlin -Beim Deutschen Filmpreis hat das Porträt "Lieber Thomas" gewonnen. Regisseur Andreas Kleinert erzählt darin mit eindrucksvollen Schwarz-Weiß-Bildern das Leben des Schriftstellers Thomas Brasch (1945-2001). Das Drama erhielt neun Auszeichnungen, darunter die Goldene Lola für den besten Spielfilm. Der Film wurde zudem für Regie und Drehbuch ausgezeichnet. Albrecht Schuch wurde als bester Hauptdarsteller geehrt - die dritte Lola für den 36-Jährigen nach "Systemsprenger" und "Berlin Alexanderplatz". Jella Haase, die in "Lieber Thomas" Braschs Partnerin Katharina Thalbusch spielt, wurde als beste Nebendarstellerin ausgezeichnet.

Der Ukraine-Krieg prägte die Verleihung. In einer Videobotschaft sprach Wladimir Klitschko vom Krieg und würdigte die Bedeutung von Dokumentarfilmen. Der Deutsche Filmpreis gilt als wichtigste nationale Auszeichnung in der Branche. Zwei weitere Schauspielpreise erhielten Meltem Kaptan als beste Hauptdarstellerin und Alexander Scheer für die beste männliche Nebenrolle in Andreas Dresens Film "Rabiye Kurnaz gegen George W. Bush". Der Film gewann zudem eine Lola in Silber, die Auszeichnung in Bronze ging an "Große Freiheit". dpa

Baden-Baden -Der Regisseur Werner Herzog (79) hat für sein Lebenswerk den Deutschen Dokumentarfilmpreis erhalten. Der Regisseur und Autor sei einer der wichtigsten und einflussreichsten Filmschaffenden weltweit, so der SWR. Seit 1962 habe der gebürtige Münchner bei über 30 Dokumentarfilmen für Kino und Fernsehen Regie geführt. Der mit 20 000 Euro dotierten Hauptpreis wurde geteilt und ging je zur Hälfte an die Filmregisseurin Maria Speth für "Herr Bachmann und seine Klasse" und an Franz Böhm für "Dear Future Children". dpa

Klagenfurt -Die aus Slowenien stammende Autorin Ana Marwan hat den Ingeborg-Bachmann-Preis in Klagenfurt gewonnen. Für ihren lakonisch-hintergründigen Text "Wechselkröte" wurde sie am Sonntag bei den 46. Tagen der deutschsprachigen Literatur im österreichischen Klagenfurt ausgezeichnet. Die in der Nähe von Wien lebende Schriftstellerin setzte sich gegen 13 Mitbewerber durch und erhält 25 000 Euro Preisgeld. "Ein zarter und leiser Text, der mit der Sprache einen eigenwilligen Tanz aufführt", so die Jury über ihre Erzählung. dpa

Washington -Wegen Fälschungsverdachts hat die US-Bundespolizei FBI 25 angebliche Gemälde des Künstlers Jean-Michel Basquiat aus der Ausstellung "Heroes and Monsters: Jean-Michel Basquiat" im Orlando Museum of Art im Bundesstaat Florida beschlagnahmt. In der Ausstellung waren laut "New York Times" bislang unbekannte Werke gezeigt worden. Der Zeitung zufolge trug eines der auf Pappe gemalten Bilder auf der Rückseite einen Paket-Aufdruck, der erst ab 1994 gebräuchlich war - sechs Jahre nach dem Tod des Künstlers. afp

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