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Besser durch Krisen kommen

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Gefragter Redner und Autor: Der »grüne« Ökonom Jeremy Rifkin, hier bei einer Innovationskonferenz. © DPA Deutsche Presseagentur

Sowohl die Corona-Pandemie als auch die Energiekrise zeigen, wie fragil unser - in guten Zeiten anscheinend perfekt aufeinander abgestimmtes - Wirtschaftssystem ist. Zu Beginn der Corona-Pandemie wurden Masken aus Stoff statt FFP2-Masken verwendet, da diese fast alle in China hergestellt wurden. Noch 2021 importierte Deutschland 55 Prozent seines Gases aus Russland und muss sich nach Moskaus Angriff auf die Ukraine Alternativen besorgen, selbst wenn diese teurer sind und bei Menschenrechten mehr als ein Auge zugedrückt werden muss.

Falls es zu einem Konflikt zwischen China und Taiwan kommt, sind die Folgen noch weitreichender. 64 Prozent der hergestellten Chips für Smartphones, Haushaltselektronik oder Waffen kommen aus Taiwan und China ist seit sechs Jahren Deutschlands wichtigster Handelspartner.

Warum begeben sich Staaten also trotz der Risiken immer wieder in solche Abhängigkeiten? Die Antwort dafür lautet: Aus Effizienzgründen oder, anders ausgedrückt: Für das Ziel, die Kosten möglichst gering zu halten. Jeremy Rifkins Buch »Das Zeitalter der Resilienz: Leben neu denken auf einer wilden Erde« erklärt, weshalb der Übergang von einer an Effizienz und Fortschritt orientierten Wirtschaftsweise zu einer an Resilienz und Widerstandsfähigkeit orientierten Ökonomie auf längere Sicht die besseren Ergebnisse bringt. Dieses neue Zeitalter werde für mehr Widerstandsfähigkeit gegenüber den größten Gefahren der Zukunft sorgen. Diese seien, so Rifkin, »immer rascher aufeinanderfolgende und immer größere globale Pandemien sowie die exponentielle Erderwärmung, die das sechste Massensterben der Erde beschleunigt«. Dabei müssten sich die Menschen als Erstes von dem Irrglauben verabschieden, sie seien die Herrschenden über die Erde. Andernfalls, erläutert Rifkin, könnte in 50 Jahren 19 Prozent der Erdoberfläche so heiß sein, dass sie für Menschen unbewohnbar ist.

Rifkins Buch erklärt wirtschaftliche Zusammenhänge und enthält viele interessante Ausführungen aus den Bereichen der Geschichte und Biologie. Dabei geht er auch ausführlich auf die Landwirtschaft ein. Hier werden beispielsweise die Effekte von Hochertragssorten, Monokulturen und genmanipulierten Pflanzen beleuchtet. Dies sorge im Zusammenspiel mit der Nahrungsmittelindustrie, die möglichst viel ungesundes Essen verkaufen wolle, da dies billiger und somit effizienter ist, für immer weiter steigende Fettleibigkeit. Diese wiede-rum habe die Folgen der Corona-Pandemie verstärkt.

Die Nebenwirkungen des ungezügelten Kapitalismus wären laut Rifkin etwa dadurch abzumildern, dass öffentliche Infrastruktur wie die Trinkwasserversorgung nicht privatisiert werden sollte. Da der Zugang zu sauberem Trinkwasser seit 2010 von der UN als Menschenrecht anerkannt ist, klingt es logisch, den Zugang nicht durch den freien Markt regeln zu lassen. Trotzdem werden weiter Wasserzugangsrechte an Konzerne wie Nestlé oder Coca-Cola verkauft, die Wasser abfüllen und teuer weiterverkaufen. Selbst wenn die Privatisierung öffentlicher Güter gestoppt werden würde, was schon eine sehr optimistische, wenn nicht sogar eher utopische Annahme ist, stellt sich trotzdem die Frage, ob überhaupt genug Wasser vorhanden ist und wofür es genutzt wird.

Bereitschaft zum Verzicht fehlt

Das meiste Wasser wird indirekt verbraucht, so werden beispielsweise für die Herstellung einer Jeans 8000 Liter Wasser benötigt. »In den Vereinigten Staaten kauft der Durchschnittsverbraucher alle 5,5 Tage ein neues Kleidungsstück« und »in der europäischen Union wird rund ein Drittel aller Kleidungsstücke nicht verkauft und am Ende des Jahres entsorgt«. Rifkin zitiert zum Thema Konsum den Inder Mahatma Gandhi, der sagte: »Die Welt hat genug für jedermanns Bedürfnisse, aber nicht für jedermanns Gier.« An dieser Stelle wäre es noch interessant, zu erfahren, wie Rifkin die Menschen von weniger Konsum überzeugen würde. Während zwar vielen Menschen die Folgen von Klimawandel und Ressourcenausbeutung in der Theorie bewusst sind, scheitert es, sowohl in der politischen als auch in der persönlichen Praxis, oft an der Bereitschaft, tatsächlich auf etwas zu verzichten.

Etwas mehr Erklärungen wären auch zu der von Rifkin beschriebenen »Wegrationalisierung von Millionen von Arbeitsplätzen durch Computerisierung und künstliche Intelligenz« spannend gewesen. Beispielsweise darüber, warum die Arbeitslosenzahlen in vielen Länder trotzdem nicht ansteigen und es keine substanziell geringeren Arbeitszeiten, aber stattdessen eine immer weitergehende Anhebung des Rentenalters gibt.

Obwohl wahrscheinlich vieles nicht in die Tat umgesetzt wird, bietet das Buch spannende Ideen, wie mit den Herausforderungen der Zukunft umgegangen werden könnte, und es gibt Hoffnung, dass es zumindest möglich ist, nicht jeder weiteren Krise so hilflos gegenüberzustehen, wie es zurzeit der Fall ist. Leonie Lamoth

Jeremy Rifkin: Das Zeitalter der Resilienz. Leben neu denken auf einer wilden Erde, Campus Verlag, 360 Seiten, 32 Euro. ISBN 9783593506647

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