Zurück zu den Wurzeln

Dominik Platen ist Spezialist für visuelle Effekte. Er ist international unterwegs und hat an großen Hollywood- Produktionen mitgewirkt. In seine Heimatstadt Lich ist er mit einem ganz anderen, sehr persönlichem Film zurückgekehrt. Hauptperson ist der kürzlich verstorbene Adolf Hampel.
Dominik Platen war sieben Jahre alt, als er Star Wars im Kino sah. Bis heute erinnert er sich an seinen spontanen Impuls von damals: »Das will ich auch machen!« Der Kindheitstraum ist Wirklichkeit geworden. Nach Studienjahren in den USA und England hat sich der 33-Jährige, der schon als Schüler mit Freunden an der Liebigschule Filme gedreht hat, auf visuelle Effekte spezialisiert. Matrix Resurrection, Jurassic World, Morbius oder The Lion King: die Liste der großen Studioproduktionen, an denen er mitgewirkt hat, ist beeindruckend.
Der Film, mit dem Platen aus seinen aktuellen Wohnort Sydney am vergangenen Wochenende nach Lich zurückkehrte, ist weniger spektakulär. Dafür umso persönlicher. »Heimat« heißt seine erste Regiearbeit, die anhand eines Einzelschicksals von der Vertreibung der Sudetendeutschen nach dem Zweiten Weltkrieg erzählt. Der Protagonist des Films ist über jeglichen Revanchismusverdacht erhaben. Es ist Adolf Hampel. Der jüngst verstorbene Theologe und Hungener »Schlossvater« hat sich zeit seines Lebens für die Versöhnung mit den Menschen in Osteuropa eingesetzt. Für die Dreharbeiten ist er 2019 nach Klein-Herrlitz zurückgekehrt, jenes Dorf, in dem er die ersten zwölf Jahre seines Lebens verbrachte.
Auch Dominik Platen hat Wurzeln im Sudetenland. Seine Großmutter Emma Berkmann kam von dort. Über der Idee einer charakterbasierten Doku hatte der Enkel schon länger gebrütet. Als die Großmutter 2019 starb wurde ihm klar: »Ich muss mich beeilen. Sonst gibt es keine Zeitzeugen mehr.« Seine Mutter Astrid hat ihm damals ein Buch in die Hand gedrückt. Titel: »Mein langer Weg nach Moskau«. Autor: Adolf Hampel. Platen hat es in einem Rutsch gelesen. Danach wusste er. »Ich habe meinen Protagonisten gefunden.«
Sechs Jahre lang, zwischen 1939 und 1945, litt Tschechien unter deutscher Besatzung. Am Ende des Zweiten Weltkriegs bekamen die Menschen im Sudetenland die Rache zu spüren. Sie mussten ihre Häuser verlassen, die wilden Vertreibungen in den ersten Monaten forderten zahlreiche Menschenleben. Dass die kinderreiche Familie Hampel zunächst auf ihrem Bauernhof, dem größten im Dorf, bleiben durfte, hatte sie einem jungen staatlichen Verwalter zu verdanken. Zdenek Pasierbek behandelte sie mit Respekt und hielt seine schützende Hand über sie. Hampel erinnert sich in seinen autobiografischen Schriften voller Hochachtung an ihn. »Gerne würde ich seinen Kindern sagen, wie viel wir ihrem Vater zu verdanken haben«, so las es Dominik Platen in »Der lange Weg nach Moskau«.
Der junge Filmemacher hat dafür gesorgt, dass sich Hampels Wunsch am Ende seines langen Lebens noch erfüllt hat. Er fand die Nachkommen der Familie Pasierbek. 2019, noch ehe die Corona-Pandemie die Welt im Griff hatte, machte er sich mit seinem damals 86 Jahre alten Protagonisten auf den Weg nach Klein-Herrlitz. Im Film sieht man Hampel, wie er, gestützt auf einen Stock, die Mütze tief ins Gesicht gezogen, vor dem Hof seiner Vorfahren steht. Und man sieht ihn auf dem Friedhof am Grab von Zdenek Pasierbek. Der Verwalter ist jung gestorben, mit seinen Kindern hat er nie über die Ereignisse am Kriegsende gesprochen. Das tut jetzt Hampel, und die Kamera läuft mit. »Es war sehr bewegend«, erinnert sich Platen. »Die Kinder hören, was für ein guter Mensch ihr Vater war.«
Die Szenen aus Klein-Herrlitz sind das Kernstück der halbstündigen Doku. Ergänzt werden sie durch Archivmaterial und die Kindheitserinnerungen von Adolf Hampel und dessen älterer Schwester Theresa Makant. Mit beiden hat der Regisseur lange Interviews geführt. Um die subjektive Perspektive im Film darzustellen, hat er sich für 2D-Animationen entschieden, die ein bisschen wie Kinderzeichnungen wirken. Man sieht, wie sich die Geschwister unter dem Angriff von Tieffliegern ducken, wie ein Soldat das Heranrücken der Roten Armee ankündigt, wie die Familie die Flucht ergreift und auseinander gerissen wird. Als Adolf Hampels Vater den angestammten Hof, seit 1704 im Familienbesitz, endgültig verlassen muss, dreht er sich noch einmal um. »Der Herr hat’s gegeben. Der Herr hat’s genommen. Gepriesen sei der Herr«, soll er gesagt haben. So zitiert ihn sein Sohn mehr als sieben Jahrzehnte später.
Produziert hat Dominik Platen den Film mit seiner eigenen Firma, Sonderbar Pictures, die er mit zwei Studienfreunden in Großbritannien gegründet hat. Dass sich die Fertigstellung so lange hinzog, lag nicht zuletzt an der Finanzierung. Als die im Herbst 2019 dank des deutsch-tschechischen Zukunftsfonds und der Hausner-Stiftung endlich auf sicheren Beinen stand, war der Regisseur gerade nach Sydney gezogen. Der Termin für die Preview vor geladenen Gästen in Lich war vor Monaten festgezurrt worden. Für Adolf Hampel kam er zu spät, er ist am 12. Juni gestorben. »Aber er hat den fertigen Film noch auf dem Computer sehen können«, berichtet Dominik Platen.
So geriet die Vorführung im Traumstern zu einer Gedenkveranstaltung für einen Mann, dessen zentrales Anliegen die Versöhnung war und der aus dem, was ihm als Kind widerfahren ist, eine Lehre gezogen hat: »Vertreibungen dürfen kein legitimes Mittel der Politik sein.« Die Welt sieht leider anders aus. Flucht und Vertreibung sind gegenwärtig, auch wieder in Europa. Und die Zahlen steigen. Nach Angaben der UNO sind aktuell über 100 Millionen Menschen auf der Flucht. Dominik Platen schlägt in seinem Film den Bogen ins Heute. Die letzten Bilder des Films zeigen geflüchtete Menschen aus Syrien.