Wunsch nach Einordnung

Vor wenigen Monaten hat die pensionierte Lehrerin Annelie Müller die Zukunft eines Wandreliefs an der Limesschule in Watzenborn-Steinberg öffentlich zur Diskussion gestellt. Sie hat damit eine 2010 begonnene und nicht abgeschlossene Diskussion um Werk und Wirken des Gießener Künstlers Walter Kröll während der Zeit des Faschismus wiederbelebt.
Das Kunstwerk von Walter Kröll, das seit gut fünf Jahrzehnten die Grundschule in Watzenborn-Steinberg schmückt, soll erhalten werden. Darin ist man sich grundsätzlich einig. Doch der Umgang mit dem Werk - vor allem aber mit dem Künstler und seiner Biografie - werfen noch Fragen auf. War Kröll, Jahrgang 1911, ein Repräsentant des Nationalsozialismus - oder gerade eben nicht? Das soll in den kommenden Monaten aufgearbeitet werden. Um ein besseres Einordnen des Wandreliefs zu ermöglichen.
Annelie Müller, einstige Stadträtin der FDP in Pohlheim, hat vor wenigen Monaten dafür geworben, das Kunstwerk unbedingt zu erhalten, wenn aktuell ein Neubau der Schule ansteht. Damit hat sie eine Diskussion angestoßen oder besser wiederaufleben lassen, die 2010 schon einmal geführt und seinerzeit nicht abgeschlossen wurde.
Auch im Gießener Kreistag war es jüngst Thema, denn der Landkreis lässt als Schulträger die Limesschule in Watzenborn-Steinberg neu bauen. In dem Zusammenhang steht die Frage im Raum, ob das Kröll’sche Werk wieder an der Schule - und wenn ja, wo - seinen Platz finden kann und darf. Alle Fraktionen sind sich einig, das Relief zu erhalten. Aber zugleich den Kontext zu klären und zu erklären.
Es dürfe keine Vorverurteilung geben, mahnte Sabine Scheele-Brenne (SPD) an. Aber sie forderte zugleich, dass man beleuchten müsse, was war. Warum konnte Walter Kröll nach 1933 in Gießen weiterarbeiten, während viele andere Künstler quasi mit Berufsverbot belegt wurden?
Da gibt es zum einen die Darlegungen des Gießener Lokalhistorikers Jörg-Peter Jatho aus dem Jahr 2010, der Kröll als Repräsentanten der hiesigen Nazi-Bewegung benennt. Jatho, ein pensionierter Oberstudienrat, hatte sehr faktenreich erklärt, dass Kröll zur »Gruppe Gießen« des Reichskartells der bildenden Künstler gehörte. Deren »Gruppenführer« Heinrich Will habe schon im November 1933 deren Überzeugung klar zum Ausdruck gebracht, »wie sehr sich die Künstlerschaft in ihrem Wirken und Wollen von dem Volkskanzler Adolf Hitler verstanden fühlt und auf dessen Förderung vertraut«. Kröll wurde laut Jatho 1933 »Kulturstellenleiter in einem Oberjungbann des deutschen Jungvolks«. 1937 soll er die Leitung von Werkskunstausstellungen der Deutschen Arbeitsfront (DAF) übernommen haben. Vor allem aber habe er ein Führer-Bild geschaffen, das seinerzeit in der Aula der Universität hing. Es sind harte Vorhaltungen.
Auf der anderen Seite kommt Marieanne Ebsen-Lenz, die frühere Leiterin der Kreisvolkshochschule, im Jahr 2010 zu dem Befund: »Nach allem, was seitens seiner (Krölls) ehemaligen Schüler ... zu hören war, scheint es sehr unwahrscheinlich, dass er ein überzeugter Nazi, gewissenlos-ehrgeiziger Trittbrettfahrer oder auch nur ein argloser Günstling des Dritten Reiches gewesen ist.«
Aufschlussreich und erklärend sind auch Ebsen-Lenz’ Darlegungen anlässlich der Kröll-Ausstellung in Arnsburg 2010: Dass der junge Kröll seinerzeit in künstlerischen NS-Vereinigungen war, sei eine triviale Erkenntnis. Das Terrorregime habe sämtliche gesellschaftlichen Bereiche unter seine Kuratel gestellt. Ebsen-Lenz Antwort auf Jatho: »Wer sich den einschlägigen Kammern und Organisationen entzog, konnte seinen Beruf praktisch gar nicht ausüben, war gesellschaftlich isoliert. Nicht jeder, der im Nachhinein scheinbar mitmarschierte, tat es aus Überzeugung, auch nicht unbedingt, um auf diesem Wege wie billig zu reüssieren. Ist es verwunderlich, dass Krölls Werke auf nationalsozialistischen Kunstausstellungen zu sehen waren? Muss man ihm vorwerfen, dass sie Anklang fanden?«
Die FDP hatte nun jüngst das Thema auf die Agenda des Kreistages gesetzt. Deren Sprecherin Vanessa Rücker plädierte dafür, das Kunstwerk an der Limesschule an einer prominenten Stelle des neuen Gebäudes wieder aufzuhängen. Doch auch die Liberalen machen sich dafür stark, mit Blick auf die zum Teil kritisch gesehene Vergangenheit des Künstlers zu prüfen, ob, wie und mit wem diese im Kontext mit dem Wandrelief aufgearbeitet werden kann. »Wir versperren uns nicht der Diskussion«, sagte FDP-Fraktionsvorsitzender Harald Scherer. »Aber wir wollen nicht, dass das Werk einfach abgehängt wird und in einem Keller verstaubt, bis vielleicht in zehn oder zwanzig Jahren ein Prüfungsauftrag abgearbeitet ist.«
Spannend dabei: Kröll ist Mitbegründer des Oberhessichen Künstlerbundes (OKB), der für sich in Anspruch nimmt, quasi als Zeichen gegen des Nationalsozialismus ins Leben gerufen worden zu sein. Besagter Gießener Gruppenführer des Reichskartells der bildenden Künstler, Heinrich Will, war 1943 von den Nazis hingerichtet worden. Nur drei Monate später, am 18. Mai 1943, trafen sich zwölf Interessierte in »Schwabs Weinstube« in Gießen und gründeten den OKB.
Laut der Gießener Kunsthistorikerin Dagmar Klein ein Signal an die Machthaber. Sie schrieb dazu anlässlich des 70-jährigen OKB-Bestehens: »Auch wenn die meisten von ihnen aus heutiger Sicht konventionell und dem Zeitgeschmack angepasst arbeiteten, so wollten sie doch ihre künstlerische Entscheidungsfreiheit gewahrt wissen.«
Es bleibt also die schwierige, zu prüfende Frage, ob Kröll - später auch Zeichenlehrer an der Gießener Uni - zwischen 1933 und 1945 Schuld auf sich geladen hat.
Wo das Wandrelief künftig hängen soll, darüber wird noch diskutiert. Während die FPD eine prominente Stelle, jedenfalls eine Außenwand, für einen gute Wahl hält, möchten die Sozialdemokraten dies ergebnisoffen geprüft sehen. Die scheidende Schuldezernentin Christiane Schmahl (Grüne) riet, darüber nachzudenken, ob nicht an einer weiterführenden Schule ein besserer Platz dafür zu finden wäre. Die Heranwachsenden dort seien aufgrund ihres Alters eher in der Lage, sich inhaltlich mit dem Kunstwerk auseinanderzusetzen.
