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Wissenschaft trifft Kunst

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Von: Patrick Dehnhardt

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pad_Farb2_211021_4c © Patrick Dehnhardt

Ihr Berufsleben war durch die Wissenschaft geprägt. Nun naht der Ruhestand - und damit eröffnet sich für die beiden Langgönser Petra und Walter Pfefferle die Möglichkeit, der künstlerischen Kreativität freien Raum zu lassen. Sie haben ein Atelier eingerichtet und eröffnen nun ihre erste große Ausstellung.

Vorsichtig füllt Petra Pfefferle Schicht um Schicht verflüssigte Acrylfarben in ein Becherglas. Sie vermischen sich jedoch nicht - da sie eine unterschiedliche Dichte haben. »Man muss etwas von der Physik, Chemie und Farbenlehre verstehen«, sagt sie. Letzteres, damit das Bild am Ende einen stimmigen Eindruck vermittelt.

Die Langgönserin stellt in Gießtechnik Bilder her, die abstrakt und gleichzeitig gegenständlich sind. Dieser Widerspruch lässt sich auflösen, wenn man ihr bei der Arbeit über die Schulter schaut.

Der fertige Farbcocktail, der in einer Szene-Bar der Hingucker schlechthin wäre, wird über eine Leinwand ausgegossen. Es braucht dabei das richtige Tempo und Gefühl dafür, wie sich die Farbe verteilen soll. Bislang wäre das Bild ein reines Zufallsprojekt. Petra Pfefferle greift jedoch in den Prozess ein: Sie achtet auf Formen und Muster, die sich in dem Farbenspiel verstecken. Mit Werkzeugen wie Holzstäbchen, Ketten und Stöcken verändert sie den Farbfluss, um die Objekte deutlich zutage treten zu lassen. So taucht aus der bunten Fläche mal ein Einhorn, mal ein Mensch in Embryonalstellung auf.

Petra Pfefferle war bereits in Kindheitstagen von bunten Farben fasziniert. »In den 1960er Jahren war die Welt noch sehr trist. Farbe war Luxus.« Unter ihrem Bett legte sie heimlich eine Sammlung mit bunten Dingen wie Glasscherben und Bonbonpapieren an. Als ihre Mutter diesen Schatz entdeckte, wanderte er in den Abfall.

Sie schlug zunächst ein Chemiestudium ein, wechselte dann auf Biologie mit dem Fokus auf die Mikrobiologie. Zwei Doktor- und ein Professorinnentitel stehen in ihrer Vita. Bei ihrer Arbeit mit Bakterien spielten Farben wieder eine große Rolle: Über verschiedene Färbungen lassen sich die Arten bestimmen. »Die Anfärbung bringt unter dem Mikroskop die Formen heraus.«

Mittlerweile stehen sie und ihr Mann Walter kurz vor dem Ruhestand. Beide lernten sich einst bei einer Mikrobiologentagung kennen, er ist heute als Geschäftsentwickler, sie am Uniklinikum in Marburg tätig. »Wir wollen uns nicht in den Sessel setzen und darauf warten, dass das Leben zu Ende geht«, sagt Walter Pfefferle zu den Zukunftsplänen. Stattdessen wollen sie den sich nun auftuenden zeitlichen Freiraum nutzen, um der Kreativität freien Raum zu lassen, die jahrelang hintenan stehen musste.

Gemeinsam haben sie »Art Pfefferle« gegründet und nach längerer Suche ein Atelier in der Steinstraße 37 in Gießen in einer alten Schusterwerkstatt bezogen. Am Freitag startet ihre erste große Ausstellung im Uniklinikum Marburg. 60 Bilder sind dort im Foyer bis zum 10. Februar zu sehen.

Während Petra Pfefferle an dem Acrylbild letzte Hand anlegt, hat sich Walter Pfefferle in einen verdunkelten Raum zurückgezogen. Eine rote Glühbirne geht an. Vom Film wird ein Bild im Belichter auf Fotopapier übertragen. Erst durch das Bad im Entwickler wird es sichtbar.

Walter Pfefferle hat sich bewusst gegen Digitalfotografie und für die Arbeit mit einer analogen Canon und Schwarz-Weiß-Film entschieden.

»Eine Perspektive statt Bilderflut«, beschreibt er die dadurch entstehende Beschränkung. Menschen stehen im Fokus seiner künstlerischen Arbeit. Diese findet er auf Straßen und in Parks, fotografiert sie in Alltagssituationen. »Ich weiß nicht, wie die Person reagiert, die ich anspreche.« Bei jungen Menschen vor der Linse wiederholt sich regelmäßig, dass diese nach dem Foto einen Blick darauf werfen wollen und verwundert auf die verschlossene Rückseite der Kamera starren und ein Digitaldisplay suchen. Wenn er ihnen dann die Technik erklärt, sind sie meist fasziniert.

Das analoge Fotografieren birgt immer das Risiko, dass ein Bild nicht so funktioniert hat, wie man es sich vorgestellt hat. Dies wird erst beim Entwickeln deutlich.

Walter Pfefferle sieht dies als Vorteil: »Die Bilder werden durch Fehler teils viel besser, als ich sie in meinem Kopf hatte.«

Er vergleicht es mit dem wissenschaftlichen Arbeiten im Labor: Zunächst entwickelt man eine Hypothese und versucht diese dann in einem Versuch zu belegen. Wenn das Ergebnis des Versuchs jedoch ein anderes als das geplante ist, muss man dies so annehmen.

Die Ausstellung »Entdeckungsreise« im Hauptgebäude der Uniklinik Marburg mit 60 Werken des Künstlerpaars ist zu den allgemeinen Öffnungszeiten bis zum 10. Februar zu sehen. Weitere Infos auch auf art-pfefferle.de.

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pad_Farb3_211021_4c © Patrick Dehnhardt
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Das Vorbereiten der Gießtechnik ergibt einen bunten Farbcocktail. © Patrick Dehnhardt

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