»Wir brauchen diese Wohnungen«
Von den hohen Zuweisungen 2015 ist der Landkreis weit entfernt. Aber die Anzahl der Flüchtlinge steigt. Die Folge: Ende März werden die verfügbaren Plätze in Gemeinschaftsunterkünften belegt sein. Zwar steuert die Behörde bereits nach. Dennoch braucht es Liegenschaften, Wohnungen und ehrenamtliche Helfer.
Krieg, Not und politische Verfolgung veranlassen viele Menschen weltweit, ihre Heimat zu verlassen. Das macht sich auch im Gießener Land bemerkbar. Waren es bis September 2021 noch sechs bis acht Asylsuchende, für die der Kreis eine Unterbringungsmöglichkeit finden musste, sind es seit dem laut Königssteiner Schlüssel bis zu 30 Personen - viermal so viele, aber weit weniger als die bis zu 150 Menschen, die es in der Hochphase der Flüchtlingskrise zu verteilen galt. Und dennoch eine Entwicklung, die Sozialdezernent Hans-Peter Stock zu einem dringenden Appell veranlasst. Er ruft Kommunen und Privatleute dazu auf, die Behörde bei der Suche nach Wohnraum für die Flüchtlinge zu unterstützen. Bei einer Pressekonferenz erläuterten er und Achim Szauter, Leiter des Fachdienstes Migration, gestern die aktuelle Situation.
25 Gemeinschaftsunterkünfte (GU) gibt es im Landkreis Gießen, 183 Plätze stehen dort aktuell noch zur Verfügung. Weil aber »der Zustrom stärker als der Abfluss ist« - nur rund 50 Personen verlassen die GUs im Monat wieder -, werden diese bis Ende März belegt sein, meint Stock.
Um über diesen Zeitpunkt hinaus Asylsuchenden Plätze anbieten zu können, hat der Landkreis bereits gehandelt. Drei zusätzliche Gemeinschaftsunterkünfte sollen ab März beziehungsweise April belegt werden - eine in Launs-pach, eine in Hungen und (mit zwei Monaten Verspätung) eine in Ettingshausen. Stock: »Mit diesen drei Einrichtungen haben wir weitere 100 Plätze zur Verfügung.«
Zudem ist seitens der Behörde vorgesehen, drei Gebäude in Holzmodulbauweise anzuschaffen, die ab Oktober für eine Belegung zur Verfügung stehen sollen. 1,8 bis 2 Millionen Euro würde das den Kreis kosten, schätzt Stock.
Bereits während der Flüchtlingskrise 2015 hatte der Landkreis neben privat betriebenen Unterkünften auf die Module gesetzt. Allerdings werden von den 30 Unterkünften die Hälfte mittlerweile anders genutzt - als Kindergarten oder zu Schulzwecken beispielsweise.
Wo die neuen Holzhäuser aufgebaut werden? Das steht noch nicht fest, sagt der Sozialdezernent. Mit Blick auf eine gerechtere Verteilung der Asylsuchenden im Kreisgebiet wolle man sie »dort platzieren, wo noch nichts ist«. Nach wie vor sei die Situation in den Kommunen sehr unterschiedlich. Positives Beispiel sei die Stadt Staufenberg, die weit mehr als das durchschnittliche Kontingent erfülle und zudem unterstützendes Personal wie eine Migrationslotsin beschäftige.
Bereits in der vergangenen Woche habe man die 18 Kreis-Bürgermeister mit Verweis auf die benötigten Flüchtlingsunterkünfte gebeten, leer stehende Liegenschaften zu melden. Ob diese Bemühungen angesichts der aktuellen Migrationsituation aufgrund zahlreicher Konflikte weltweit ausreichen, um den Bedarf an Unterbringungsmöglichkeiten zu decken? Stock weiß es nicht, rechnet damit, dass es bei 15 bis 30 Flüchtlingen pro Woche bleiben wird. Aber: »Überhaupt nicht kalkulierbar ist der Konflikt direkt vor unserer Haustür«, meint er angesichts der sich täglich zuspitzende Situation in der Ukraine.
Unterbringungspotzenzial sieht der Sozialdezernent allerdings nicht nur bei den Kommunen, sondern auch bei der Bevölkerung. Nicht nur die notwendigen GUs betreffend. Denn: »Derzeit leben 172 Menschen in Gemeinschaftsunterkünften, die dort eigentlich gar nicht mehr wohnen müssten, weil sie schon eine Anerkennung haben«, erklärt Szauter. Stock appelliert daher an Vermieter von leer stehenden Wohnungen und Gebäuden, sich mit dem Landkreis in Verbindung zu setzen. Das gelte auch für Eigentümer von gewerblichen Liegenschaften. Szauter: »Wir brauchen diese Wohnungen.«
Damit nicht genug. Neben Wohnraum benötige es für eine erfolgreiche Integration der Flüchtlinge auch Ehrenamtliche. Stock: »Ohne sie hätten wir die Jahre 2015 und 2016 nicht meistern können.« Und ohne sie werde es auch jetzt nicht gehen.