Wild als Verkaufsschlager: Metzgerei aus Kreis Gießen will expandieren
Der Metzgermeister Daniel Seller aus Pohlheim ist Experte für Wildfleisch. Nun verkauft er an Supermärkte. Doch warnt, dass Biosiegel kein Qualitätsmerkmal sei.
Gießen - Auf dem Wochenmarkt in Gießen ist Daniel Seller seit mehr als fünf Jahren eine Institution. Wild ist das Metier des 55 Jahre alten Watzenborn-Steinbergers. Die Nische, in die er damit stößt und mit der er sich einen Namen gemacht hat, beschreibt er kurz und knapp in einem Satz: »Es ist ehrliches Fleisch.«
Was der Metzgermeister damit meint, das wird klar, wenn Seller davor warnt, ein Biosiegel generell als Qualitätsmerkmal für Fleisch anzusehen. »Sogenanntes Biofleisch zum Beispiel beim Discounter ist häufig durchgeprügelt bis zum bitteren Ende«, sagt Seller. Das Fleisch seiner Wildmanufaktur, fügt er hinzu, stamme von Tieren »aus unserer Agrarkultur, die nie eingeperrt waren, die sich bis zum letzten Tag im freien Feld oder im Wald bewegt haben und die als Nahrung genossen haben, was sie wollten.«

Metzger aus Pohlheim bietet verschiedene Fleischprodukte vom Wild an
Wer Seller in seiner Marktlaube der Metzgerei Dern-Heuer besucht, der entdeckt eine bemerkenswerte Vielfalt. Wild gibt es bei ihm nicht nur als Braten. »Eine Motivation ist, mit dem Produkt zu spielen«, sagt er. Ein Anliegen sei, das gesamte Fleisch zu verarbeiten. »Wir stellen mit Wild auch Pasteten, Fleischkäse, Bratwürste, Salami, Fleischwurst und Bierbeißer her«, sagt der Pohlheimer. »Und wenn die Spargelzeit anfängt, haben wir Kochschinken vom Hirsch und vom Reh.«
Die Metzgerei Dern-Heuer in Leihgestern hat Seller vor zwölf Jahren übernommen. Seit zwei Jahrzehnten führt der Pohlheimer zudem einen Partyservice. Zunächst, erzählt er, habe er sich auf den Partyservice und in der Metzgerei auf Rind- und Schweinefleisch konzentriert. Dann aber sei er mit dem Stand auf den Gießener Wochenmarkt gegangen und habe angefangen, mit Wild »hin und her zu probieren.« Inzwischen hat er sich längst in der Nische eingefunden. Zumal Seller in einer Jägerfamilie groß geworden ist. »Ich bin seit 25 Jahren Jäger, seit 1996 Metzgermeister. Das passt gut zusammen.«
Metzger aus Pohlheim jagt Fleisch selbst
Seller jagt selbst in einem Revier in Lohra-Rollshausen. Für seine Manufaktur erhält er zudem Wild von Freunden, die als Jäger unter anderem im Odenwald oder im Forst nahe Lich unterwegs sind. In einem großen Kühlraum in Watzenborn-Steinberg kommt das Wild zunächst unter, bevor Seller es zerlegt und verarbeitet. Der Pohlheimer entstammt einer Berliner Metzgerdynastie, auch sein Vater und sein Großvater waren Fleischer. Sellers Vater ist einst der Liebe wegen ins Gießener Land gekommen.
Grob geschätzt verkaufe er 300 bis 350 Kilo Fleisch im Monat, sagt er. Vor einem Jahr hat Seller sein Geschäft erweitert. Er beliefert rund 20 Rewe-Märkte im Frankfurter Raum sowie einen in Gießen mit Wild. Er habe daher seit einem Jahr eine EU-Zulassung, berichtet er. »Die Kontrollen sind dadurch schärfer.« Bevor er das Wild verkauft, wird es von einem Fleischbeschauer untersucht.
Seller ist mittlerweile hessenweit als Experte in Sachen Wildfleisch anerkannt. Er gibt Seminare beim Jagdverein »Hubertus«, in diesem Monat auch beim Landesjagdverband. »Jäger haben manchmal die tollsten Klamotten, die größten Gewehre und die größten Autos, aber sie haben keinen ausreichend großen Kühlschrank. Was machen sie dann, wenn sie im Sommer bei 30 Grad Wild geschossen haben?« Auch solche Fragen spreche er auf den Seminaren an.
Metzger aus Pohlheim lieferte im Jahr 20.000 Essen
Der Pohlheimer verfügt über viele Kontakte zu Jägern, sodass er auch mal schnell reagieren kann, wenn beispielsweise die Leitung des Restaurants »Zum Löwen« in Gießen bei ihm anruft und fragt, ob er 40 Fasane liefern kann. »Das organisiere ich dann.«
Für seinen Partyservice hat er im vergangenen Jahr 20 000 Essen geliefert. Seller kennt Arbeitstage von sechs Uhr am Morgen bis Mitternacht. Eine feste Mitarbeiterin ist im Verkauf tätig, zudem beschäftigt er einen Gesellen und eine Aushilfe. Sellers Frau ist für die Buchhaltung zuständig. Eine Idee für die Zukunft sei, Wild auf einem Wochenmarkt in Frankfurt zu verkaufen. Doch auch der Ruhestand naht. In Corona-Zeiten, als der Partyservice aussetzen musste, habe er zum ersten Mal das Familienleben so richtig genießen können. Arbeiten werde er noch fünf Jahre, sagt er. »Dann habe ich genug Winter in der Kälte gestanden.« (Stefan Schaal)
Während sich der Pohlheimer Metzger über ein florierendes Geschäft freut, kämpft das Gießener-Unternehmen Tom & Sally’s ums Überleben.