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„Ich töte dich!“: Not-OP rettete Frau das Leben - Ihr Mann bestreitet die Vorwürfe

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Von: Jonas Wissner

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Ein 34-jähriger aus Staufenberg hat seine Frau angegriffen und die gemeinsamen Kinder ins Ausland entführt. Vor dem Landgericht Gießen muss er sich jetzt verantworten.
Ein 34-jähriger aus Staufenberg hat seine Frau angegriffen und die gemeinsamen Kinder ins Ausland entführt. Vor dem Landgericht Gießen muss er sich jetzt verantworten. © Maurizio Gambarini/dpa

Ein 34 Jahre alter Mann soll in Staufenberg versucht haben, seine Frau zu vergewaltigen und soll zudem mit einem Messer auf sie eingestochen haben. Jetzt steht er vor dem Landgericht Gießen.

Gießen/Staufenberg – Beim Anblick jenes Mannes, mit dem sie seit etwa 14 Jahren verheiratet ist, bricht die 29-jährige Nebenklägerin zusammen. Als er nach einer Unterbrechung wieder in Handschellen zur Anklagebank geführt wird, schreit sie schrill und laut auf, zittert, drängt sich in eine Ecke. Ihre Anwältin führt sie hinaus. Es dauert einige Minuten, bis ihre Vernehmung als Zeugin beginnen kann. Während sie befragt wird, blickt der 34-Jährige, meist mit verschränkten Armen, äußerlich ungerührt zum Richtertisch.

Seit Dienstag (01.03.2022) muss er sich vor der fünften großen Strafkammer des Landgerichts verantworten. Die Staatsanwaltschaft geht davon aus, dass er am 9. Juli 2021 seine damals seit Kurzem von ihm getrennt lebende Ehefrau vergewaltigt hat. Am gleichen Abend soll er sie während einer unter einem Vorwand begonnenen Autofahrt geschlagen, mehrfach auf sie eingestochen und gesagt haben: „Ich töte dich!“

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Sie soll sich zwischen Mainzlar und Treis aus dem fahrenden BMW gestürzt haben. Eine Not-OP rettete ihr Leben. Der Mann setzte sich mit den drei gemeinsamen Kindern ins Ausland ab, wurde schließlich in Bulgarien festgenommen und am 1. September nach Deutschland ausgeliefert, wo er in Untersuchungshaft sitzt. Die Vorwürfe: Vergewaltigung, versuchter heimtückischer Mord, gefährliche Körperverletzung und Entziehung Minderjähriger.

Der Angeklagte ließ zum Prozessauftakt über seinen Verteidiger Alexander Hauer eine ganz andere Version vortragen: Die Vergewaltigung bestreite er „pauschal“. Und im Auto sei er zunächst von seiner Frau angegriffen worden. Hintergrund: Damals lebte das jüngste Kind mit der Frau in deren neuer Wohnung, die anderen beiden bei ihm in Wettenberg.

Eine Tochter habe sich an jenem Tag die Hand verbrannt, die Mutter sei dafür verantwortlich gewesen, so der Mann. Er habe darauf gedrungen, mit ihr ins Krankenhaus zu fahren. Seine Frau sei aber dagegen gewesen, habe keine Probleme mit dem Jugendamt bekommen wollen. Nach vergeblichen Versuchen, einen Arzt zu erreichen, sei auf der Fahrt Streit entbrannt – er habe ihr gedroht, sie wegen der Verbrennung anzuzeigen.

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Dann habe die Frau mit ihrem Handy den Angeklagten geschlagen. Sie habe auch ein Messer gezückt – und beim Versuch, Stiche abzuwehren, habe er sie verletzt. Dann sei sie aus dem Auto gesprungen. „Aus Angst, dass man die Situation dahingehend interpretieren kann, dass Tötungsabsicht im Vordergrund steht“, sei der Mann letztlich „abgehauen“, sagte Hauer.

Dagegen stützt die Aussage der 29-Jährigen die Anklage: An jenem Tag seien alle drei Kinder bei ihrem Mann gewesen. Sie selbst habe er am frühen Abend abgeholt und schließlich in seine Wohnung gebracht, sagte die Frau am Dienstag. Dann habe er zwei der Kinder raus zum Spielen geschickt und sie im Schlafzimmer vergewaltigt – das sei häufiger passiert. Als sie danach weg wollte, habe er sie bedrängt, mit ins Auto zu steigen.

„Er hat gesagt: Ich kann nicht hier bleiben, ich werde Deutschland verlassen“, äußerte sie sich, wie auch der Angeklagte, über einen Dolmetscher. Nach einem Stopp in Lollar sei er, mit der kleinen Tochter auf dem Rücksitz, weitergefahren, habe auf sie eingestochen und auch gesagt: „Ich werde dich zerstückeln und verstecken.“

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Ihr Mann sei „ein Lügner, aggressiv und herzlos“, erklärte die Frau. „Was er mit mir gemacht hat, hat der IS mit jesidischen Frauen gemacht.“ Einmal habe er ihr ein Video gezeigt, in dem ein Mann seine Frau tötet – das werde er auch mit ihr tun. Beide stammen aus dem Irak, sind laut der Frau 2015 geflohen. Zur Heirat hätten ihre Eltern sie einst gezwungen. Ihr Mann habe sie davon abgehalten, einen Deutschkurs und eine Ausbildung zu beginnen.

Bereits am Morgen hatte Hauer beantragt, das Verfahren einzustellen. Die Nebenklage habe bereits im Ermittlungsverfahren Akteneinsicht beantragt und erhalten, zugleich sei die 29-Jährige aber auch einzige Hauptbelastungszeugin der Anklage. Man müsse davon ausgehen, dass sie nun selbst die Akten kenne. Ihre „Aussagekonstanz“ werde dadurch entwertet, meinte Hauer und hielt der Frau unter anderem vor, die Vergewaltigung bei ihren polizeilichen Vernehmungen noch nicht angesprochen zu haben. Sein Fazit: Aufgrund eines „unbehebbaren Verfahrenshindernisses“ sei ein faires Verfahren nicht mehr möglich.

Die 29-Jährige versicherte, sie habe auch aus Scham zunächst nicht über die Vergewaltigung gesprochen. Sie bekräftigte, keine Akteneinsicht genommen zu haben. Das bestätigte ihre Anwältin Ebru Esmer-Yildiz und forderte, Hauers Antrag abzulehnen. Das Gericht fällte dazu am Dienstag keine Entscheidung. Die Verhandlung wird am 11. März fortgesetzt. (Jonas Wissner)

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