Zeitreise mit Dieter Reinhardt

Wettenberg (m). Eine musikalische Zeitreise rückwärtsgewandt, um mit Akkordeon und Gesang Fragen nachzugehen, »war früher alles besser - gab es die gute alte Zeit wirklich?«. Dieter Reinhardt, Gründer der Musikschule Wettenberg, Musiklehrer und -erzieher, hatte in das Bürgerhaus Wißmar seine Schul- und Alterskameraden mit Familien und Freunde eingeladen, um in kleinem Rahmen mit einem Konzert Antworten zu finden.
Die beiden nachmittäglichen Stunden waren kurzweilig unterhaltsam, die Atmosphäre familiär und hatte etwas von Spinnstuben-Flair.
Ja, in der Tat: Das waren noch Zeiten, als unter einem Dach drei Generationen lebten, man nach getaner Arbeit vor dem Haus saß, jeder jeden kannte, Nachbarschaftshilfe das Mittel gegen Einsamkeit war, es keine Quotenregelung brauchte, weil Mann und Frau aufeinander angewiesen waren, Kinder ihre Eltern achteten und jedes Individuum etwas zählte. Keine Familienfeier ohne Gesang und im Herbst eben die herbeigesehnten Spinnstuben. Dass die Frauen schon damals »die Hosen anhatten«, bewies das Lied »Die Fraa wollt off die Kirmes gieh«.
Dieter Reinhardt war in der Zeit des Ersten Weltkrieges angekommen. Wißmar mit seinen 1675 Einwohner hatte 41 Tote zu beklagen. Die goldenen 20er, in denen durch Filme Tänze und Melodien aus aller Welt bekannt wurden. Der Wiener Walzer aus Österreich, der Passo Doble aus Spanien, Kalinka aus Russland, der Sirtaki aus Griechenland, der Tango aus Argentinien, der Holzschuhtanz aus Holland und aus Ungarn der Csárdás. Neue Musik und Schlager eroberten die Welt.
Prägend fürs Leben
Während des Zweiten Weltkrieges war die Einwohnerzahl um 1000 gestiegen; die Zahl der Toten hatte sich mehr als vervierfacht. Salon- und Kaffeehausmusik kam auf: »Liebe ist ja nur ein Märchen«, und in den 50er bis 70er Jahren schlagerte es, »Marmor, Stein und Eisen bricht«, Ganz in Weiß«, oder »Es hängt ein Pferdehalfter an der Wand«.
Musik, Gesang und Tanz sind immer auch ein Erkennungsmerkmal ihrer Zeit. Dazu merkte der 85-jährige Dieter Reinhardt an, »wenn du dich zur Gegenwart äußern und in der Zukunft zurecht finden willst, musst du die Vergangenheit kennen«. Auch im hohen Alter ist der Musikpädagoge keiner, der der Moderne abgeschworen hat. Dafür ist er immer noch durch und durch der Musik verbunden und weiß, dass sie prägend sein kann für ein Leben.