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»Müssen andere herziehen?«

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Von: Patrick Dehnhardt

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Rund 100 Bürger verfolgen die Bürgerinformationsveranstaltung zum Masterplan 2030 und diskutieren teils kräftig mit. © Patrick Dehnhardt

Für den Masterplan 2030 der Gemeinde Wettenberg untersuchte die THM, welche Flächen für eine Entwicklung von Baugebieten geeignet seien. Bei der Infoveranstaltung am Montagabend wurde deutlich, dass einige Kritiker generell neue Baugebiete ablehnen.

Rund 100 Bürger drängen sich am Montagabend im Wißmarer Bürgerhaus, um sich über den Masterplan 2030 für die Gemeinde Wettenberg zu informieren. Bei manchen herrscht auch nach der durch Corona obligaten Lüftungspause dicke Luft.

Prof. Alexander Pellnitz von der Technischen Hochschule Mittelhessen (THM) informierte über den Auftrag, den er und sein Team erhalten hatten. Sie sollten Flächen betrachten, die möglicherweise für eine Siedlungs-Entwicklung geeignet sind. Dabei griffen sie Vorschläge aus der Kommunalpolitik sowie aus der Bürgerschaft auf.

Diese Flächen wurden im Plan alle verzeichnet - ganz gleich ob gut oder schlecht geeignet -, um eine Vorbetrachtung vorzunehmen. Dabei ging es etwa um Bodenqualität, den Wert für die Natur oder Bedeutung für den Hochwasserschutz. So hätten sich viele auf dem Plan eingezeichnete Flächen als wenig geeignet erwiesen, sagte Pellnitz. Eine genaue Betrachtung, beispielsweise zum Thema Abwasserführung, habe man nicht vorgenommen, da diese für jede Fläche sehr kostenintensiv sei und erst dann Sinn mache, wenn man wirklich eine Bebauung prüfen wolle, sagte der Stadtplaner. »Dieser Plan soll keine Entwicklung zeigen, sondern eine Analyse.«

Mit dieser Erklärung verzogen sich bereits bei einigen Bürgern die Sorgenfalten, die der stark gefüllte Plan hervorgerufen hatte. Pellnitz gab zu bedenken, dass Corona dazu geführt habe, geplante Infoveranstaltungen zu verschieben und dass man zu Beginn »gar nicht digitale Tools wie Zoom« besessen habe.

Der Planer zeigte zunächst auf, wie sehr sich die drei Ortsteile seit 1945 ausgedehnt haben. Im Vergleich dazu wirken die neuen Baugebiete geradezu winzig. An sechs Beispielen erklärte er die Betrachtungen. So sei etwa das Areal zwischen A 480 und Westpark Krofdorf-Gleiberg gut für eine Gewerbeentwicklung geeignet - jedoch im Besitz von Hessen Mobil.

Als Anregung tauchten sowohl im ersten als auch nun aktuell vorgelegten Entwurf des Masterplans Flächen auf, die man langfristig entsiegeln oder anders nutzen wolle. So schlug Pellnitz etwa vor, das Sommerlad-Lager abzuräumen, um die Sicht auf die Burg zu verbessern. Zu Irritationen hatte bereits im Vorfeld geführt, dass das Schunk-Areal im Norden anders genutzt werden könnte.

Bürgermeister Marc Nees stellte diesbezüglich klar, dass die Fläche im Besitz der Firma sei und man darauf keinen Zugriff habe: »Dass wir bestimmen, dass eine Firma aufgibt, ist nicht vorgesehen. Diese Planung können wir gar nicht umsetzen.«

Norbert Fischer brachte in der Diskussionsrunde ins Gespräch, dass man Schunk mit einem anderen Standort ein attraktives Angebot machen könnte, um eine Umsiedlung anzustoßen. Jedoch gab es auch deutliche Kritik an neuen Gewerbeflächen. Nees fasste zusammen: »Wir wollen nichts bebauen, nichts neu versiegeln, aber sie von da oben umsiedeln. Das ist die Quadratur des Kreises.«

Breiten Raum nahm die Debatte über den Wohnraumbedarf ein. So berichtete eine Krofdorferin, dass sie einst nach Rhein-Main zog und dann zurückkehrte, da es in Wettenberg schöner sei. Doch nun ginge der dörfliche Charakter immer mehr verloren. Man müsse aus ihrer Sicht die Bedürfnisse der Bürger sehen, die bereits in Wettenberg wohnen.

Eine Launsbacherin, die nach eigener Aussage vor 30 Jahren zuzog, da Wettenberg so lebenswert sei, sprach sich gegen eine weitere Entwicklung von Baugebieten aus. »Warum müssen wir andere hier herziehen lassen?«

»Das ist Egoismus«, sagte Dr. Ulrich Ellinghaus. »Wir dürfen nicht in die Diskussion kommen: ›Ich wohne hier, also ist alles in Ordnung‹.« Man müsse an das Gemeinwohl denken: »Wir wollen, dass die, die in Wettenberg arbeiten, auch in Wettenberg leben können.«

Bürgermeister Nees sagte, dass es nicht nur um Zuzug von außerhalb ginge: »Mich erreichen viele Telefonate, E-Mails, Briefe, in denen Wettenberger schreiben, dass sie wegziehen müssen, weil es keine Grundstücke gibt« - und dies mit dem Zusatz »weil uns andere die Grundstücke weggekauft haben«. Man wolle neue Baugebiete keinem Investor überlassen.

Ein Launsbacher Bürger sagte dazu, dass man sich die Frage stellen müsse: »Wie wollen wir in Zukunft erreichen, dass junge Leute - ob zuziehend oder hier geboren - in der Lage sind, Bauplätze und Wohneigentum sich selbst zu schaffen oder zu erwerben?« Derzeit würden Investoren Altgrundstücke aufkaufen und die Bebauungspläne bis zu den Grenzen ausreizen. Da seien junge Familien chancenlos.

»Das ist ein Riesenproblem«, stimmte der Bürgermeister zu. Zudem gebe es das Problem, dass einige Häuser leer stehen, obwohl die Nachfrage nach Wohnraum da ist. Ein Krofdorfer sagte dazu, dass viele Häuser - auch Neubauten - falsch geplant würden. Es würden sich keine Gedanken gemacht, wie man nach dem Auszug der Kinder Wohnraum abtrennen und als eigene Einheit vermieten könnte. Zudem solle man den Zuzug nicht verteufeln: »Der Supermarkt im Zentrum von Krofdorf-Gleiberg ist ja nur da, weil die kaufkraftstarke Bevölkerung im Neubaugebiet zugezogen ist.«

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