Jubiläumsinnung »stabile Säule des Kfz-Gewerbes«

Wettenberg (sel). Die Innung des Kraftfahrzeuggewerbes Oberhessen ist mit ihren mehr als 350 Mitgliedsbetrieben die größte im Bundesland Hessen und, 1921 gegründet, die mit inzwischen 101 Jahren älteste im Bereich der »alten« Bundesrepublik Deutschland. Nur die Kfz-Innung Dresden ist noch drei Jahre älter. Ziehe man aber, so der Gießener Obermeister Carsten Müller, die 40 Jahre DDR-Zeit ab, in denen die Innung Dresden nicht das tun konnte, wozu sie 1918 gegründet wurde, dann sei die Innung Oberhessen deutschlandweit die älteste.
Der Rittersaal der Burg Gleiberg erlebte die Jubiläumsveranstaltung der Innung zum 100. Geburtstag, wenn auch, Corona geschuldet, im 101. Jahr ihres Bestehens. Mit dabei war der Präsident des Zentralverbandes Deutsches Kraftfahrzeuggewerbe (ZDK), Jürgen Karpinski - er ist zugleich Präsident des Landesverbandes Hessen und Landesinnungsmeister. Er wurde von Obermeister Müller ebenso als Ehrengast begrüßt wie Stefan Füll, Präsident der Handwerkskammer Wiesbaden als auch des Hessischen Handwerkstages, der Gießener Kreishandwerksmeister Kay-Achim Becker, Landrätin Anita Schneider sowie die Professoren Olaf Berger (Gießen) und Hannes Brachat (München) und Michael Kraft, Vizepräsident des Landesverbandes, Vorstandsmitglied und Schatzmeister im ZDK und im Vorstand der Jubiläumsinnung aktiv.
Die Gründungsversammlung der Kfz-Innung Oberhessen, deren Einzugsgebiet die Landkreise Gießen, Vogelsberg und Wetterau umfasst und die organisatorisch bei der Kreishandwerkerschaft Gießen angebunden ist, fand am 21. Februar 1921 im »Pfälzer Hof« in Gießen statt. Gründungsväter waren Ernst Assmann, Otto Göbel und Adam Kircher. Sie erkannten Notwendigkeit und Vorteile, in einem noch jungen Gewerbe Interessen gemeinschaftlich zu vertreten.
Stärke und Konstanz dokumentieren sich auch in der Zahl von nur acht Obermeistern in einem Jahrhundert: Ernst Assmann (Gießen, 1921 bis 1945), Adam Kircher (Gießen, 1945 bis 1960), Ludwig Fetzer (Gießen, 1960 bis 1971), Willi Klöß (Alsfeld, 1971 bis 1978), Walter Hartwich (Lauterbach, 1978 bis 1993), Gottfried Hartmann (Alsfeld, 1993 bis 2011), Hans-Joachim Beranek (Bad Nauheim, 2011 bis 2018) und seither Carsten Müller aus Lich.
ZDK-Präsident Karpinski bezeichnete die Jubiläumsinnung als »stabile Säule des Hauses Deutsches Kfz-Gewerbe«. Die Institution Innung sei »wichtigstes Bindeglied zu den Firmen vor Ort«. Dann wurde er »qua Amt« politisch. Der Forderung nach einem Tempolimit erteilte er eine Absage. Auf 97 Prozent aller Überlandstraßen gelte heute schon die Richtgeschwindigkeit 130. Diskussionsthema seien die restlichen drei Prozent. Dabei liege die auf deutschen Autobahnen durchschnittlich gefahrene Geschwindigkeit laut Erhebungen ohnehin bei lediglich 117 km/h. Die behauptete übergroße Umweltbelastung, die von Fahrzeugen ausgehe, treffe ebenfalls nicht zu.
Faktenreiche Festschrift
Karpinski fordert eine Versachlichung der Diskussion ums Automobil und sprach sich namens des Zentralverbandes für Technologieoffenheit aus. Alternative Kraftstoffe müssten ebenso gefördert werden wie Elektro-Mobilität. Fest stehe jedenfalls: »Die Menschen wollen ihr Auto.«
Das Kfz-Gewerbe sei das Rückgrat der deutschen Industrie, erwirtschafte 180 Milliarden Euro Umsatz pro Jahr und beschäftige 450 000 Menschen. Mit 90 000 jungen Menschen bilde das Gewerbe so viel aus wie kein anderer Wirtschaftszweig.
Die Landrätin plädierte für »Offenheit gegenüber möglichen Antriebsvarianten« und nannte es »falsch«, sich ausschließlich auf die E-Mobilität festzulegen. Diese habe auch Nachteile, die wiederum durch andere Technologien, zum Beispiel Wasserstofftechnik, ausgeglichen werden könnten. »Der Landkreis Gießen soll Wasserstoff-Region werden«, kündigte Schneider an und sprach sich dafür aus, »parallel die Alternativen weiterzuentwickeln«.
Während Olaf Berger von der THM Gießen die Frage, ob Wasserstoff ein Schlüsselelement für eine nachhaltige Mobilität oder ein teurer Irrweg sei, nicht eindeutig beantworten wollte (für Lkw und Busse sinnvoll und eher ja, für Pkw aus ökonomischen Gründen eher fraglich), führt laut Hannes Brachat »angesichts der Realität« kein Weg an einer Reduzierung des Verkehrs- und somit des Fahrzeugaufkommens vorbei.
Brachat ist Herausgeber der Fachzeitschrift »Autohaus« und hat die 77 Seiten starke, faktenreiche Jubiläumsfestschrift für die Kfz-Innung Oberhessen verfasst.
Am Ende seines ebenso launigen wie fachkundigen und an vielen Stellen aufrüttelnden Vortrags kam Brachat zu dem Schluss, »dass wir alle in Sachen Auto eine gute Zukunft haben - allerdings wird sich das Auto ändern«.