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Wenn der Papa im Knast sitzt

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Von: Patrick Dehnhardt

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Blick in die Justivollzugsanstalt Frankfurt-Preungesheim. Für eine Familie hat es weitreichende Folgen, wenn der Vater hier einsitzt. ARCHIVFOTO: DPA © DPA Deutsche Presseagentur

Gerade auf dem Dorf macht es schnell die Runde, wenn jemand ins Gefängnis muss. Die Familien und insbesondere die Kinder leiden unter der Situation. Sie erhalten Hilfe beim Projekt »Kinder im Mittelpunkt«.

Die Szene hat sich so oder so ähnlich in den vergangenen Jahren ein paar Mal auch im Landkreis abgespielt. Die Polizei steht mit mehreren Fahrzeugen vor der Tür. Der Familienvater muss ins Gefängnis und wird abgeführt. Die Kinder bekommen alles direkt mit, können die Situation kaum verstehen. Wenn die Beamten abgerückt sind, sind sie mit der Mutter allein. Was bleibt, ist ein emotionales Chaos.

Immer wieder kommt der Vorwurf auf, dass sich in Deutschland zu viel um Täter gekümmert werde. Im Falle derer Familien trifft dies allerdings weit weniger zu. Während bereits seit Jahrzehnten auf die Resozialisierung von Inhaftierten Wert gelegt wird, fielen deren Kinder und Familien lange Zeit hinten runter.

Erst seit einigen Jahren nehmen sich die Mitarbeiter des Programms KiM der Beratung und Unterstützung von Kindern von inhaftierten Eltern an. KiM steht für »Kinder im Mittelpunkt«. Es handelt sich um eine Aktion des Vereins »Perspektiven für junge Menschen und Familien Gießen«, wird von der Aktion Mensch noch bis Jahresende gefördert. Im Landkreis Gießen wird eine Handvoll Familien betreut, hessenweit sind rund 70 Kinder in dem Programm.

Uli Müth ist einer der KiMExperten, seit sechs Jahren betreut er Angehörige. Das Projekt schließt aus seiner Sicht eine Lücke: »Die Familien hatte bis vor wenigen Jahren niemand auf dem Schirm.« Dabei sind die Folgen immens, wenn der Vater plötzlich weg ist - im Großteil der Fälle sind die Männer die Kriminellen.

Obwohl es nicht selten ist, dass ein Krimineller auch kleine Kinder hat, spielt dies bislang bei Verhaftungen und Festnahmen kaum eine Rolle. Friederike Henn, pädagogische Leitung bei KiM, macht den Beamten keinen Vorwurf: »Die Polizei kann keine Rücksicht nehmen, dass Kinder in der Wohnung sind.« In günstigen Fällen komme es vor, dass ein Beamter an der Tür klingele und die Mutter bitte, mit den Kindern zu einer Freundin zu gehen, bevor jemand festgenommen wird, sagt Müth. Dies sei jedoch nicht die Regel, denn bislang gebe es vom Innenministerium dazu keine Vorgaben. Auch eine psychologische Betreuung ist von Amtswegen nicht vorgesehen, obwohl das Ereignis für die Familie traumatisch ist.

KiM spricht sich für Schulungen von Polizisten für ein »familiensensibles Vorgehen« aus. Ein Anfang wäre aus Sicht der Projektverantwortliche bereits, wenn ein Flyer ausgehändigt würde, der wichtige Informationen zum Haftbeginn des Partners, aber auch den Konsequenzen für die Familie bereithält. Denn dieser ist auch mit jeder Menge Bürokratie verbunden.

Der Vater fehlt nicht nur als Bezugsperson, sondern auch mit seinem Einkommen. Dass man in diesem Fall Unterstützungenleistungen oder einen Unterhaltsvorschuss beantragen kann, hat sich zwar mittlerweile herumgesprochen. »Viele Familien sind nicht aus einem bildungsfernen Milieu und kennen die Formalien«, sagt Müth.

Doch es hängt noch mehr daran. Henn schildert den Fall einer Mutter, die nach einigen Monaten eine Rechnung vom Kinderarzt in der Post hatte. »Die Kinder waren über den Vater mitversichert gewesen.« Als er ins Gefängnis musste, wurde er automatisch von der Krankenkasse abgemeldet und über die Justiz versichert - die Kinder jedoch nicht. »In der JVA gibt es keine Familienversicherung.« Nur wissen das die wenigsten.

Die Familien bräuchten darum direkt in den ersten Tagen nach der Verhaftung Unterstützung. Jedoch erfahren die KiM-Experte immer erst von einem Fall, wenn sich die Familien an sie wenden.

Mütter stehen im Zwiespalt zwischen der Wut auf den Partner und dem Gefühl, zu ihm stehen zu müssen. Zudem müssen sie versuchen, den Kindern irgendwie verständlich zu machen, dass nicht die Polizei oder die Justiz die Bösen sind, sondern der Vater etwas sehr Dummes gemacht hat, wofür er nun zu Recht bestraft wird. Auch der Vater selbst müsse diese Einsicht zeigen, »Ansonsten ist er ein ganz schlechtes Vorbild«, sagt Müth. Nicht in jedem Fall sei ein weiterer Kontakt mit dem Vater für die Familie zielführend.

Wenn die Polizei vor der Tür steht, macht das gerade auf dem Dorf die Runde. Henn berichtet, dass bei Familien schnell ein Gefühl der Stigmatisierung aufkommt, teilweise auch unbegründet. Müth rät darum Nachbarn und Freunden dazu, einfach auf die Betroffenen zuzugehen und Hilfe anzubieten. »Das kann viel an schlechten Gefühlen nehmen«, sagt Henn. Schließlich könnten die Kinder nichts dafür, wenn ein Elternteil kriminell werde. Müth findet, dass sich die Gesellschaft mit dem Thema mehr auseinandersetzen müsse. Es passe nicht zusammen, wenn die Familien eines Sträflings gemieden würden, »aber einem Ulli Hoeneß auf die Schulter geklopft wird«.

Für die Väter bietet KiM Kurse zur Stärkung der Erziehungskompetenz direkt in der Justizvollzugsanstalt an. »Die werden sehr gut angenommen«, sagt Henn. Auch bei Besuchen in der JVA - oder coronabedingt Skype-Telefonaten - begleitet KiM die Familien.

Ein mindestens ebenso wichtiger Teil aber sind die Freizeitangebote für Familien, das bewerten nicht nur die KiM-Experte so, sondern auch Vereine wie die Arbeitsgemeinschaft für evangelistische Kommunikation (AFEK), die jährlich ein Zeltlager für Kinder von Strafgefangenen am Forsthaus am Dünsberg organisieren.

Den Kindern und Frauen mal ein paar unbeschwerte Tage zu ermöglichen, sei unglaublich wichtig, sagt Müth. »Die Gefangenen denken, es geht ihnen schlecht. Dabei müssen die Frauen draußen den Überlebenskampf der Familie meistern.«

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