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Wenn Bürokratie Hilfe erschwert

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Von: Constantin Hoppe

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Spendenübergabe an der Erich-Kästner-Schule mit Schulleiter Jürgen Vesely und den Zonta-Frauen um Präsidentin Beatrix Eiler-Haupt (r.). © Constantin Hoppe

4,6 Millionen Menschen sind seit Ausbruch des Krieges aus der Ukraine geflohen. Die Hälfte davon sind Kinder. Den ukrainischen Kindern in Lich soll an der Erich-Kästner-Schule nun wieder etwas Normalität im Alltag geboten werden. Doch dabei steht die Schule vor bürokratischen Hürden.

Im Gesicht von Jürgen Vesely sind die Sorgen deutlich abzulesen. Diese betreffen nicht ihn selbst, sondern die ukrainischen Schüler an der Erich-Kästner-Schule (EKS). Dabei sollte er nun eigentlich Grund zur Freude haben: Die Schule hat gerade eine Spende über 1000 Euro erhalten, um eine Nachmittagsbetreuung für die Flüchtlingskinder zu ermöglichen. Für das Foto wird kurz gelächelt, dann weicht das Lächeln wieder.

»Die Kinder sollten einfach die Möglichkeit haben, wieder Kind sein zu können. Viele Kinder, die aus der Ukraine hierherkommen, sind hoch traumatisiert«, sagt Vesely und weiß, wovon er spricht: Er selbst hat bei sich zu Hause eine junge ukrainische Mutter mit ihren beiden Kindern im Kita-Alter aufgenommen. Nach der Schule spielt er mit den beiden Jungs meist Fußball. »Dann lachen sie, spielen und toben herum. Dann denken sie nicht mehr an Krieg und Bomben. Aber das ist ganz schnell zu Ende, wenn ein Flugzeug vorbeifliegt. Dann bekommen sie Angst«, sagt der Grundschulleiter. »Der Kontakt mit anderen Kindern hilft ihnen dabei, ihre Sorgen und Erlebnisse zu vergessen.«

Genauso ergehe es einigen der ukrainischen Grundschüler an seiner Schule. Deshalb war es Vesely von Anfang an wichtig, dass den Flüchtlingskindern und ihren Eltern die Möglichkeit geboten wird, die Betreuung im Rahmen des »Pakts für den Nachmittag« wahrzunehmen.

17 Kinder aus der Ukraine nehmen derzeit am Unterricht an der EKS teil. »Wir erwarten aber noch mehr«, sagt der Schulleiter. Das sieht an den anderen Schulen im Landkreis Gießen ähnlich aus: »Aktuell besuchen 280 Kinder und Jugendliche aus der Ukraine Schulen im Landkreis, 131 davon Grundschulen«, teilt Schulamtsleiter Norbert Kissel auf Anfrage dieser Zeitung mit.

»Alle Kinder werden so wohnortnah wie möglich beschult, umso schneller Anschluss zu finden«, erklärt Kissel. In den Grundschulen gibt es demnach eine Mischung aus gezieltem Deutschunterricht in einer Kleingruppe und der Teilnahme am »normalen« Unterricht einer Klasse. Es sei denn, es sind mehr als zehn Kinder ohne Deutschkenntnisse in einer Grundschule, dann wird eine »Intensivklasse« eingerichtet. In dieser wird dann verstärkt Deutsch unterrichtet und die Schüler nehmen nur stundenweise am regulären Unterricht teil.

Die grundsätzliche Schulpflicht der Kinder wird somit gewährleistet. Wenn es darüber hinaus gehen soll, stellen sich jedoch einige bürokratische Hürden in den Weg. »Es war unklar, wer eine Nachmittagsbetreuung finanziert«, sagt Vesely. Ein weiteres Problem stellte der zeitliche Rahmen dar. Denn normalerweise kann man sich nur vor Beginn eines Schuljahres für dessen gesamte Dauer für die Ganztagesbetreuung anmelden. Meist sogar mit mehreren Monaten Vorlauf.

Mittlerweile scheinen diese Fragen jedoch geklärt zu sein. Wie die Pressestelle des Landkreises Gießen mitteilte, können Schüler in Ausnahmefällen während des laufenden Schuljahres in das Angebot des »Pakts für den Nachmittag« aufgenommen werden. »Die Flucht aus der Ukraine ist natürlich solch ein Ausnahmefall«, erklärt Pressesprecherin Jessica Ruis.

Entsprechende Aufnahmeformulare würden den Schulen bereits vorliegen. Auch die finanzielle Frage ist geklärt: Die Geflüchteten aus der Ukraine erhalten Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz, sodass der Weg der Kostenübernahme wie bei anderen Leistungsbeziehern möglich ist.

Doch Vesely möchte seinen Schülern und deren Eltern sofort die Möglichkeit bieten, das Betreuungsangebot wahrzunehmen, ohne sich vorher mit dem Stellen von Anträgen auseinandersetzen zu müssen. »Wir müssen den Kindern jetzt gleich helfen, und nicht warten, bis das durch die Bürokratie gegangen ist.«

Vesely begann deshalb mit der Suche nach Sponsoren, um einigen Kindern die Teilnahme am »Pakt für den Nachmittag«-Programm kurzfristig zu ermöglichen. 100 Euro kostet das Betreuungsangebot Eltern monatlich. Dieser Beitrag soll nun über Spenden getragen werden. Fündig wurde Vesely beim Zonta Club Burg Staufenberg. Der Club überbrachte jüngst eine Spende über 1000 Euro an die Grundschule. Das reicht, um zehn Grundschülern für einen Monat die Teilnahme zu ermöglichen. »Man muss dabei bedenken, dass nicht jeder dieses Angebot in Anspruch nehmen wird - die Eltern sollen ja nicht dazu gezwungen werden«, sagt Vesely. »Aber so kann man zumindest sofort und unbürokratisch helfen.« Zudem wisse man nicht, wie lange die Familien in Lich bleiben werden. »Da ist schnelle Unterstützung notwendig«, meint Vesely. Deshalb hofft der Schulleiter nun, dass noch weitere Unterstützer dem Vorbild des Zonta Clubs folgen werden und Kindern wieder ein klein wenig Normalität ermöglicht werden kann.

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