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Weg frei für Bürgerbeteiligung

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Von: Ursula Sommerlad

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Lange wurde diskutiert. Nun soll die Bürgerbeteiligung Fahrt aufnehmen. Das Stadtparlament hat die Charta verabschiedet und Geld für eine Koordinierungsstelle freigegeben.

Peter Blaisini verlor als erster die Nerven. Um 20.38 Uhr packte der FDP-Stadtverordnete seinen Kram und verließ den Sitzungssaal im Rathaus. Er dürfte pünktlich zum Anstoß in Sevilla vor dem Fernsehgerät gesessen haben. Zu diesem Zeitpunkt hatte das Licher Stadtparlament die größte Hürde an diesem Mittwochabend genommen: die Verabschiedung der Charta zur Bürgerbeteiligung. In der knappen Stunde, die bis zum Sitzungsende noch folgen sollte, war allerdings eine stete Abwanderung aus dem Saal zu beobachten.

Eine Woche zuvor, im Haupt- und Finanzausschuss, war die Charta wegen juristischer Bedenken noch abgelehnt worden. Die Verwaltung hatte die Zeit bis zur Parlamentssitzung genutzt und eine juristische Stellungnahme eingeholt. Ergebnis: Das 26 Seiten starke Papier verstößt nicht gegen die Hessische Gemeindeordnung. Diese Klarstellung erschien dem Mehrheitsbündnis aus BfL, Grünen und FDP im HFA wichtig, war doch die Gießener Bürgerbeteiligungssatzung vom Hessischen Verwaltungsgerichtshof gekippt worden.

Die Charta, die Bürger, Mandatsträger und Verwaltung in einem langen Diskussionsprozess erarbeitet haben, wurde mit einigen Änderungen beschlossen. Einstimmig, aber nicht von allen. Grüne, FDP und DBL enthielten sich der Stimme. Zuvor war ein gemeinsam von Grünen und FDP eingereichter Änderungsantrag abgelehnt worden. Darin ging es um die Besetzung des Beteiligungsbeirats und die Acht-Wochen-Frist, in der die Einwohnerschaft Bürgerbeteiligung einfordern kann. In der vorgelegten Form sei die Charta »eine eher legere Absichtserklärung«, sagte Katharina Winter, die stellvertretende Fraktionsvorsitzende der Grünen. »Wir hätten uns mehr rechtliche Verbindlichkeit gewünscht.« Daher der Änderungsantrag, der unter anderem die Besetzung des Beteiligungsbeirats ausschließlich mit Mitgliedern aus der Einwohnerschaft vorsah.

Bündnispartner BfL legte einen eigenen Änderungsantrag vor, der in eine ähnliche Richtung ging. Der Beirat soll mit elf Einwohnern, je einem Mitglied der Fraktionen, zwei Vertretern aus Magistrat und Verwaltung sowie dem Koordinator besetzt werden. Stimmrecht sollen jedoch ausschließlich die Einwohner haben. »Bürgerbeteiligung liegt uns sehr am Herzen«, begründete Dr. Karin Lorenz diesen Vorschlag, der am Ende eine Mehrheit fand.

In der bald einstündigen Debatte ging es im wesentlich um die Frage, wie verbindlich die Ergebnisse des Bürgerbeteiligungsprozesses sein sollen und können. »Es wird viel gekonnt, aber wenig gemusst«, fasste Nathalie Burg (FDP) den Tenor der Charta zusammen. Auch sie plädierte dafür, den Beirat ausschließlich mit Bürgern zu besetzen, damit diese unbefangen diskutieren können. Ebenso legte BfL-Fraktionsvorsitzender Magnus Schneider Wert darauf, dass die Politik im Beteiligungsbeirat nicht die Überhand gewinnen kann. Andreas Abert (CDU) widersetzt sich einem »Parlament neben dem gewählten Parlament«, verwies aber auf die Selbstverpflichtung der Stadtverordneten. »Jeder, der hier sitzt, nimmt Bürgerbeteiligung sehr ernst«, versicherte er. Es gehe um Dialog. FW-Sprecher Josef Benner betonte die Grundsätze einer repräsentativen Demokratie. Die Stadtverordneten müssten handlungsfähig bleiben. »Am Ende tragen wir die Verantwortung.« SPD-Fraktionsvorsitzender Prof. Knut Stieger wies darauf hin, dass die Bürgerbeteiligung ein sich entwickelnder Prozess sei. Die Möglichkeit zur Anpassung sei gegeben. »Die SPD findet die Charta richtig gut.«

Kontrovers diskutiert wurde später auch noch die Freigabe der Mittel für den Beauftragten, der die Bürgerbeteiligung koordinieren soll. Ein Antrag der Freien Wähler, die Stelle unbefristet auszuschreiben, wurde vom Mehrheitsbündnis abgelehnt. BfL, Grüne und FDP wollen den Koordinator zunächst für zwei Jahre einstellen, so hatten sie es bereits im Zuge der Haushaltsberatungen beschlossen. DBL-Stadtvordneter Andreas Müller-Ohly, der das Thema Bürgerbeteiligung schon 2016 zur Sprache gebracht hat, hält die Stelle für komplett überflüssig. Bürgerbeteiligung sei eine Querschnittsaufgabe für die Verwaltung.

In einem nächsten Schritt wird die Verwaltung nun die Koordinatorenstelle ausschreiben. Sobald sie besetzt ist, soll die Vorgehensweise bei der Bürgerbeteiligung Schritt für Schritt entwickelt werden, teilte Bürgermeister Dr. Julien Neubert auf Anfrage mit. Der Beteiligungsbeirat werde gebildet, wenn der Koordinator gefunden ist und seine Arbeit aufgenommen hat.

Zwei neue Stadtverordnete

Zu Beginn der Parlamentssitzung hatte Stadtverordnetenvorsteher Michael Pieck zwei neue Mandatsträger begrüßt. Für den am 1. Mai verstorbenen Gregor Daubert rückt Günter Block in die SPD-Fraktion nach. Bei den BfL kommt Stephan Reinl anstelle von Dr. Peter Matzdorf.

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