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Wasserquelle des Dorfs

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Von: Patrick Dehnhardt

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Auch bei 38 Grad versiegt der Obborn nicht, sondern verspricht Abkühlung. © Patrick Dehnhardt

Brunnen waren einst für jede Siedlung existenziell. In Zeiten, in denen das Wasser aus der Leitung kommt, hat ihre Bedeutung jedoch abgenommen. Auch der Obborn hat eine wechselhafte Geschichte erlebt - die im Gegensatz zu der vieler anderer Brunnen ein Happy End hat.

Welch große Bedeutung Brunnen einst für das Leben der Menschen spielten, lässt sich noch heute an vielen Stellen ablesen: In etlichen Orten gibt es eine Brunnenstraße oder einen Bornweg, zu Ostern werden Brunnen festlich geschmückt, und die Stadt Hungen feiert gar ein Brunnenfest.

Was in Zeiten, in denen das Wasser scheinbar unbegrenzt aus dem Hahn kommt, zur Folklore geworden ist, hatte einst einen ernsten Hintergrund. Ein Dorf, eine Stadt brauchte eine zuverlässige Wasserquelle. Manches Dorf wurde gar wieder aufgegeben und fiel wüst, als die Wasserquellen vor Ort zu wenig lieferten oder versiegten.

Erst Dorftreff,

dann Schandfleck

Ein Beispiel, an dem sich die Geschichte der Brunnen und Quellen gut ablesen lässt, ist Obbornhofen. 766 erstmals erwähnt, ist es eines der ältesten Dörfer der Region. Von »Wasserkünsten« wie in Grünberg oder Fernleitungen dürfte man damals noch nicht mal zu träumen gewagt haben.

Heimatforscher vermuten, dass bereits im zweiten oder dritten Jahrhundert n. Chr, Chatten oder Alemannen dort sesshaft wurden. Der Name des Dorfes leitet sich vermutlich von »Obere Höfe« ab. Grund für die Ansiedlung dürfte die Quelle gewesen sein. Diese liefert pro Jahr zuverlässig 470 000 Kubikmeter Wasser - das entspricht sieben Badewannen pro Minute.

Beim Obborn handelt es sich um einen artesischen Brunnen. Das heißt, das Wasser spritzt in einer Fontäne hervor, was man aufgrund des Brunnenhauses aber nicht sieht. Das kommt daher, weil die grundwasserführende Schicht nach oben durch eine wasserundurchlässige Gesteinsschicht abgedichtet ist. Diese Schicht fällt zum Obborn ab und sorgt so dafür, dass das Wasser unter Druck steht und hervorsprudelt.

Über Jahrhunderte hinweg versorgte der Obborn zuverlässig das Dorf. Mit dem Wasser wurde Bier gebraut, gekocht, es wurde getrunken, das Vieh getränkt, der Durst und auch so mancher Brand gelöscht. Das überschüssige Wasser floss quer durchs Dorf. Es reichte sogar aus, um im 16. Jahrhundert eine Mühle zu bauen und zu betreiben.

Zudem war der Obborn ein beliebter Treffpunkt. Manches Pärchen soll sich hier kennengelernt haben. Beim Wasserholen wurden Neuigkeiten ausgetauscht und hier Wäsche gewaschen. Doch die Zeiten änderten sich.

Ab 1928 wurde der Brunnen als Geldquelle genutzt: Das Kraftwerk Wölfersheim brauchte Wasser für die Kühlung. Die Braunkohlen-Schwel-Kraftwerk Hessen-Frankfurt AG (HEFRAG) kaufte die Quelle an. Die Obbornhofener erhielten das Recht auf kostenloses Wasser bis zu einer gewissen Obergrenze. Der Erlös floss in den Bau der örtlichen Wasserleitung.

Nach dem Zweiten Weltkrieg verkam das Areal des Obborns zunehmend. Der betonierte Brandweiher zerfiel, der ihn eingrenzende Zaun rostete vor sich hin. Als das Kraftwerk Wölfersheim schloss, wurde das Wasser dennoch weiter dorthin gepumpt - um in einen Teich und letztlich in die Horloff zu fließen, wie 1996 diese Zeitung berichtete. Da wurde das Wasser schon zehn Jahre nicht mehr zur Trinkwasserversorgung genutzt. 1986 wurde ein erhöhter Nitratgehalt festgestellt, wodurch der Obborn als Trinkwasserquelle untauglich wurde. Einige Obbornhofener bezweifeln dies allerdings bis heute.

So schien es, als würde der Obborn das Schicksal vieler anderer Brunnen teilen, die durch die Wasserleitungsnetze überflüssig wurden: Zugeschüttet oder mit Platten verschlossen und vergessen. Doch es sollte für ihn anders kommen.

Als die Quelle um die Jahrtausendwende in den Besitz der Stadt Hungen überging, gab es bereits Pläne, wie man sie besser nutzen könnte. Denn Willy Zimmer, Hans Kreß und Gerald Hänsel hatten sich bereits eingehend damit beschäftigt, wie man das Areal wieder aufwerten und zu einem Treffpunkt machen könnte.

In 1046 ehrenamtlichen Arbeitsstunden wurde das Areal umgestaltet, es entstand ein Wasserspielplatz. Das Wasser des Obborn läuft aus zwei Löwenköpfen über mehrere Kaskaden. Diese dienen Kindern als Spielplatz und werden an heißen Sommertagen auch gerne von Vögeln und Insekten als Ort der Erfrischung genutzt. Am Ende läuft das Wasser in ein Kneippbecken. Noch immer pflegt ein Team rund um Willy Zimmer regelmäßig die Anlage. Der fast vergessene Brunnen ist heute wieder Bestandteil des Dorflebens.

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