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„Ich mache das einfach mal“: Was Bürgermeister-Kandidatin Lale Sahin in Linden verändern möchte

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Von: Stefan Schaal

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Lale Sahin in Wald
Lale Sahin © srs

Kontakt mit der Stadtverwaltung Lindens hatte Lale Sahin bisher vor allem als stellvertretende Vorsitzende eines Kita-Elternbeirats. Nun will sie Bürgermeisterin werden. Die 44 Jahre alte Leihgesternerin formuliert das zentrale Ziel, mehr Nähe und Kommunikation zwischen der Verwaltung und den Bewohnern der Stadt zu schaffen. »Linden darf nicht nur als Wohnort wahrgenommen werden“, sagt, sie, „sondern auch als Heimat.« Wie will sie das erreichen?

Das Gespräch mit Lale Sahin nähert sich nach anderthalb Stunden dem Ende, da spricht die Bürgermeisterkandidatin einen Satz aus, der ihre Herangehensweise an diesen Wahlkampf auf den Punkt bringt. Sie sagt: »Ich bin jeder in Linden.«

Es ist ein Anspruch, den freilich alle Kandidaten erheben: Ein Bürgermeister, eine Bürgermeisterin für alle Lindener zu sein, jeden Bewohner der Stadt zu repräsentieren. Sahin schöpft diesen Anspruch vor allem aus der Tatsache heraus, dass sie von allen vier Bewerbern bisher am wenigsten auf politischer Ebene in Linden involviert war. Dadurch sei sie von allen Kandidaten »die unabhängigste«, sagt sie.

Bürgermeister-Kandidatin Lale Sahin in Linden: Mehr Bürgernähe als Ziel

Während für den Posten des Rathauschefs der Stadtverordnetenvorsteher, ein Magistratsmitglied und eine in der Stadt bekannte Aktivistin im Natur- und Klimaschutz kandidieren, ist Sahin, die 44 Jahre alte Leihgesternerin, bisher vor allem in einer Rolle mit der Kommunalpolitik, dem früheren Bürgermeister und der Stadtverwaltung in Kontakt gekommen: als Mutter und als stellvertretende Vorsitzende des Elternbeirats der Kita »Regenbogenland«.

Rund um das Abwahlverfahren und die Diskussionen um den bisherigen Bürgermeister Jörg König (CDU) habe sie den Eindruck gewonnen, dass zwischen dem politischen Stadtgeschehen und den Lindenern eine Kluft, ein gewisser Frust, fast schon Desinteresse herrschen, sagt Sahin. Auch die geringe Wahlbeteiligung von 45,26 Prozent bei der vergangenen Bürgermeisterwahl 2018 sei dafür ein Zeichen. Sahin formuliert daraus ein elementares Ziel. Als Bürgermeisterin würde sie, sagt die Kandidatin, mehr Nähe und Kommunikation zwischen der Verwaltung und der Kommunalpolitik sowie den Bewohnern der Stadt schaffen. Es gehe darum, Bürgernähe wiederherzustellen.

In Linden fehlt ein zentraler Mittelpunkt, wo sich Menschen abends treffen oder samstags zum Kaffee verabreden können. Das möchte ich ändern.

Lale Sahin

Auf die Frage, wie sie das erreichen will, nennt sie ein Beispiel. »Von dem Schimmelbefall des Dachs der Volkshalle habe ich kürzlich erfahren, weil ich mich ins Publikum einer Sitzung des Stadtparlaments gesetzt habe.« Der nächste Rathauschef müsse die Lindener über solche Neuigkeiten direkt informieren, nicht nur im Parlament. Als Bürgermeisterin, erklärt sie, würde sie dafür eine Plattform, am ehesten online, ins Leben rufen.

Es ist ein früher Mittwochabend. Sahin sitzt im Haus ihrer Familie im Neubaugebiet »Nördlich Breiter Weg« in der Küche an einem langen massiven Holztisch. Seit 2019 lebt die Mutter zweier Kinder hier mit ihrer Familie. Im Gespräch weist sie immer wieder darauf hin, »unabhängig von allen politischen Gesichtspunkten« zu sein. Die Frage nach ihrer kurzzeitigen Mitgliedschaft bei den Freien Wählern und nach der Unterstützung durch SPD und FDP drängt sich auf. Sie habe eine Zeit lang Fraktionssitzungen der Freien Wähler besucht, erzählt sie, »weil ich mitbekommen wollte, was sich in Linden tut. Eigentlich engagiere ich mich aus einem ähnlichen Grund im Kita-Elternbeirat. Ich möchte mitreden und mithören.«

Bürgermeister-Wahl in Linden: Die Kandidaten im Porträt

Rund 10.000 Wahlberechtigte entscheiden am 12. März, wer künftig als Bürgermeister oder Bürgermeisterin die Lindener Stadtverwaltung leitet: Dr. Sandra Herrmann, Lale Sahin, Dennis Dern oder Fabian Wedemann. Die Gießener Allgemeine Zeitung stellt die vier Bewerber vor.

Mit der Entscheidung für die Bürgermeisterkandidatur sei sie bei den Freien Wählern wieder ausgetreten, erklärt Sahin. Und auch wenn die SPD und die FDP sich für eine Unterstützung der Kandidatur Sahins ausgesprochen haben, führe sie ihren Wahlkampf weiterhin unabhängig, ausschließlich selbst organisiert mit drei, vier Freunden. »Ich freue mich, dass mich SPD und FDP lobend erwähnen, nachdem ich mich bei ihnen vorgestellt habe.« Inhaltlichen Einfluss üben diese aber nicht auf sie aus, betont Sahin.

Für die Position an der Spitze des Rathauses sei sie qualifiziert durch ihre mehr als 14 Jahre lange Erfahrung im Bereich der Verwaltung, berichtet sie. Sahin arbeitet im Jobcenter in Frankfurt. Dort ist sie vor allem koordinatorisch tätig und dafür zuständig, dass in sämtlichen sieben Häusern des Frankfurter Jobcenters Gesetze und Richtlinien gleichwertig umgesetzt werden. Kommunikation und Organisation seien ihre maßgebliche berufliche Aufgabe, erklärt sie.

Ich wohne seit 2019 in Linden. Wenn mir jemand vorwerfen sollte, dass ich mich in einem Thema nicht auskenne, dann antworte ich: Heute vielleicht nicht. Aber rufen Sie mich morgen an.

Lale Sahin

Direkt nach dem Studium an der Gießener Uni trat sie die Tätigkeit im Jobcenter an. »Ich wollte nie Rechtsanwältin werden, wollte immer in der Verwaltung arbeiten«, sagt die Juristin. »Das Aufgabenspektrum ist dort klar gesetzt.«

Wer sich mit Sahin unterhält, lernt eine Kandidatin kennen, die klar ihre Positionen darlegt. auf vorgestanzte Formulierungen verzichtet und die gleichzeitig viel lacht und Empathie in den Mittelpunkt stellt. Auch als das Gespräch auf die Personallage im Rathaus kommt. »Wenn die Außenwelt so viel über die Stadtverwaltung urteilt, dann versetzt das die Mitarbeiter in eine Situation, die belastend ist, die sie mit nach Hause nehmen«, sagt sie. »Die haben schon eine ganze Menge ausgehalten.« Als Bürgermeisterin gehe es maßgeblich darum, die schützende Hand über das Personal zu legen. Gleichzeitig sei geboten, Ziele abzustecken »und an den Mitarbeitern orientiert einen Führungsstil zu entwickeln«.

Gegen Ungerechtigkeit vorzugehen sei für sie ein Antrieb, sagt sie. »Wenn mir eine Person aus ihrem Alltag erzählt, dass ihr Ungerechtigkeit widerfahren ist, nehme ich das an, dann bin ich bemüht, das zu ändern. Dann muss ich das in die Hand nehmen, damit es besser und richtig läuft.« Die Erfahrung im Kita-Elternbeirat habe sie vor diesem Hintergrund bereits vor längerer Zeit auf den Gedanken gebracht, für das Bürgermeisteramt anzutreten. »Ich mache das einfach mal«, habe sie gesagt. »Wir haben immer wieder gedacht, dass das doch besser geht.«

Ich möchte, dass sich etwas verändert. Das kann ich der Stadt geben. 

Lale Sahin

Im Elternbeirat habe sie mit ihren Kollegen die Kommunikation mit der Stadtverwaltung geführt und dabei erfahren, wie schwierig die Zusammenarbeit mit dem früheren Rathauschef war. Irgendwann hätten sie im Elternbeirat, berichtet sie, Stellenausschreibungen für Kita-Personal formuliert - eigentlich Aufgabe der Stadtverwaltung.

Neben der Situation in der Verwaltung will Sahin auch dazu beitragen, das Stadtbild zu verändern. »In Linden fehlt ein zentraler Mittelpunkt, wo sich Menschen abends treffen oder samstags zum Kaffee verabreden können.« Daran wolle sie im Bereich des Rathauses etwas ändern, mithilfe von Stadtmarketing, Fördermöglichkeiten und Angeboten an Gastronomen und Einzelhändler. Es sei eine Idee, damit die Lindener ihre Stadt mehr als Heimat wahrnehmen.

Bürgermeister-Kandidatin Lale Sahin in Linden: Kita-Gesamtelternbeirat ein »großes Thema«

Die Kommunikation mit den Unternehmen gelte es zu stärken. Als »großes Thema« benennt Sahin zudem die Gründung eines Gesamtelternbeirats für die Kindergärten. Im Kita-Bereich müssten Lösungen für die Notbetreuung gefunden und die Platzvergabe verbessert werden. Angebote müssten für Jugendliche und für Senioren geschaffen werden. Dass sie erst seit gut drei Jahren in Linden lebt, sei kein Nachteil, sagt Sahin. »Ich habe Linden bewusst als meinen Heimatort gewählt.« Sollte man ihr vorwerfen, sich in einem kommunalpolitischen Thema noch nicht auszukennen, »dann antworte ich: Heute vielleicht nicht. Aber rufen Sie mich morgen an.« Sie arbeite sich dann in das Thema ein.

Dass Sahin dem Arbeitermilieu entstammt - ihre Eltern sind einst aus der Türkei nach Nordrhein-Westfalen gekommen, ihr Vater war früher bei Krupp als freigestelltes Betriebsratsmitglied engagiert - ist aus Sicht der Kandidatin eher eine Randnotiz. Sahin ist in Siegen geboren und aufgewachsen. »Ziel meines Vaters war immer, dass die Kinder studieren«, sagt sie. Ende der 90er Jahre führte das Jurastudium sie nach Gießen.

Da sie in Linden nicht so stark vernetzt sei, sei sie allen Parteien und auch den Bürgern gegenüber unvoreingenommen. »Ich möchte, dass die Stadt Linden weiter vorankommt, dass sich etwas verändert«, sagt Sahin. »Das kann ich der Stadt geben.«

Acht Fragen an Lale Sahin

Was bringt Sie auf die Palme?

Ungerechtigkeit.

Bei welcher Art von Musik drehen Sie voll auf?

Da bin ich breit gefächert. Wir hören zu Hause vor allem Radio. Meine Tochter ruft hin und wieder, dass ich aufdrehen soll. Dann singen wir beide schief und laut mit.

Mit wem würden Sie gern für einen Tag tauschen?

Mit keinem, ich finde mein Leben toll.

Haben Sie ein politisches Vorbild?

Justin Trudeau, der kanadische Ministerpräsident.

Was ist in Linden besonders verbesserungswürdig?

Die Kommunikation zwischen der Stadt und den Bürgern.

Was hilft Ihnen, um nach einem anstrengenden Tag abends abzuschalten?

Hobbys kommen im Moment zu kurz. Als Mutter würde ich sagen: Wenn die Kinder im Bett sind.

Auf welches Hobby würden Sie auch im Fall des Wahlsiegs nicht verzichten wollen?

Auf meine Spaziergänge. Ich walke gerne auf den Feldwegen und in Richtung Wald im Bereich des Lückenbachs

Was hat Sie im Wahlkampf bislang am meisten überrascht?

Was mich wirklich gefreut hat, ist dass Leute mich ansprechen und ihre Wertschätzung für die Idee und die Option zum Ausdruck bringen, sich kommunalpolitisch zu engagieren.

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