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Wandern im Kreis Gießen mit Fremden: Eine App macht’s möglich

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Von: Stefan Schaal

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»Unverbindlichkeit mag ich nicht, das macht es kaputt«, sagt Ernst während der Wanderung nördlich von Cleeberg. © Stefan Schaal

Durch die App »Meet 5« lernen sich Leute ab 40 in Gruppen kennen. Menschen, die sich vorher nie begegnet sind, verabreden sich auch im Kreisgebiet Gießen zum Essengehen, Wandern und zu Stammtischen. Seit der Pandemie nimmt die Zahl der Mitglieder stark zu.

Kreis Gießen – Oben haucht ein Windstoß durch die Baumkronen. Grüne Nadeln schweben herab, sie übersäen die Köpfe der Wanderer. Vor einer Stunde haben sich die sieben Frauen und Männer auf dem Cleebaum-Parkplatz nördlich von Cleeberg erstmals gegenüber gestanden. Da waren sie noch Fremde. Nun laufen sie nebeneinander durch den Langgönser Wald, plaudern, erzählen, schweigen, lachen und lernen sich kennen. Bis sich nach drei Stunden ihre Wege wieder trennen.

Verabredet haben sie sich über eine App, die im Gießener Land immer mehr Mitglieder gewinnt und die sich speziell an Menschen ab 40 Jahren richtet: Meet 5.

„Meet 5“ in Gießen: Spielen, Wandern oder Chips-Tasting mit Fremden – Alles in einer App

»Du musst den Mund aufmachen«, sagt Ernst. Nur so, erzählt er während des Marsches durch den Wald, mache eine Teilnahme an den Aktivitäten bei »Meet 5« Sinn. Während des Corona-Lockdowns, erzählt der 55 Jahre alte Sozialpädagoge, habe er auch an Treffen der App per Video-Stream teilgenommen, an Spielen und an Quiz-Abenden. »Aber das gefällt mir nicht. Ich will mit Menschen persönlich in Kontakt kommen.«

Seit Mitte vergangenen Jahres ist Ernst bei »Meet 5« angemeldet, er hat auch schon mehrere Treffen in die App gestellt. »Einmal habe ich ein Tasting verschiedener Chips-Sorten in einem Park in Frankfurt organisiert«, erzählt er. Sicher, räumt Ernst ein, Teilnehmer der Treffen kommen sich auch näher, Paare bilden sich, er habe selbst schon Zweiertreffen initiiert. Er befinde sich derzeit in einer Scheidung. »Ich möchte nach vorne blicken«, sagt er. Auch Eifersucht habe er innerhalb der App bereits erlebt, als er nach einem Zweiertreffen mit einer anderen Frau gechattet habe. Im Vordergrund aber, betont er, sei »Meet 5« eine Kennenlern- und eben keine Dating-App.

Wer sich dort anmeldet, entdeckt eine erstaunliche Vielfalt der Aktivitäten auch im Gießener Land. Mitglieder schlagen Spaziergänge und Wanderungen sowie Kneipenstammtische und Essen in Restaurants vor. Jeder kann sich anschließen, nach wenigen Stunden ist oft die maximale Zahl an Teilnehmern erreicht. Menschen teilen außerdem ihre Hobbys, in Gießen kommt es beispielsweise zu einem Treffen von Bogenschützen.

Trotz Pandemie neue Leute im Gießener Raum kennenlernen: Mit der App „Meet 5“

Auf ihrem Marsch bei Cleeberg erreichen die Wanderer unterdessen eine Lichtung, hinten zieht ein Traktor auf einem Acker seine Bahnen. Vor allem für Neulinge wird der Vorteil, sich wandernd in der Gruppe kennenzulernen, schnell deutlich. Wer nebeneinander und hintereinander läuft, das ändert sich ständig.

So wechseln immer wieder die Gesprächspartner, Langeweile oder Stille kehrt nie ein, während sich Einzelne kurz zurückziehen und schweigend die Natur genießen. »Ich hatte am Wochenende nichts vor«, erzählt ein Teilnehmer, der aus Frankfurt zu dem Treffen gefahren ist. »Ich habe in die App geschaut, die Wanderung heute am Samstag entdeckt und mich spontan dafür entschieden.«

Eine weitere Teilnehmerin berichtet, am Abend zuvor habe sie erstmals an einem Treffen über die App teilgenommen. »Ich war mit zehn Menschen, die ich alle nicht gekannt habe, Persisch essen«, erzählt Petra. Im Restaurant habe ihr ein Mann - Ernst, der Sozialpädagoge - von der Wanderung in Langgöns erzählt. »Und jetzt laufe ich hier durch den Wald.« Sie sei Single, habe gerade eine Beziehung hinter sich. »Wenn man über 40 ist und sich nicht in Vereinen engagiert, wird es schwierig, einfach so neue Leute kennenzulernen.«

Eigentlich störe ihn nur eines in der App, sagt derweil Ernst: wenn Teilnehmer sich während des Treffens nicht einbringen oder trotz Zusage nicht erscheinen. »Unverbindlichkeit mag ich nicht, das macht es kaputt«, sagt er.

Eine App zum Kennenlernen in Gießen für Leute ab 40: „Meet 5“ – Keine Dating-App

Ein kühler Freitagabend, es nieselt, in der Strandbar in Gießen sind die meisten Tische und Liegestühle frei. Eine Gruppe aus acht Personen allerdings sitzt schwätzend beisammen. Es ist ein Stammtisch, der sich über »Meet 5« gegründet hat. Wie bei der Wanderung in Langgöns liegt hier das Durchschnittsalter zwischen 40 und 50 Jahren. Sie habe sich fast nicht getraut, zu kommen, gesteht Sonja, die zum ersten Mal dabei ist, dann nippt sie an einem Glas Weißweinschorle. »Ich habe mir eingeredet, dass ich müde bin«, erzählt die 45 Jahre alte Grundschullehrerin und alleinerziehende Mutter aus Nidda. Sie kenne hier ja niemanden. Dann aber habe sie an ihre Freundin Conny gedacht. »Die ist fast jeden Abend unterwegs, in Vereinen wie in der 50er-Vereinigung. Und ich hocke in Nidda und versauere.«

Neben ihr sitzt eine Gießenerin, die seit einem guten Jahr in der App registriert ist. Ihr erstes Treffen, das sie dort vorgeschlagen habe, sei ein Spaziergang durch Wetzlar gewesen, erzählt sie. »Zwölf Stunden, mit einem großen Abendessen zum Abschluss. Zehn Leute waren von Anfang bis Ende dabei.« Treffen über die App seien wesentlich entspannter als bei anderen vergleichbaren Angeboten wie beispielsweise Tinder.

Schräg gegenüber sitzen Roxy und Oliver, sie teilen sich eine Portion Süßkartoffelpommes. Ein gewisser Altersunterschied ist zu erkennen, sie ist Rentnerin, er ein 49 Jahre alter Ingenieur. Gleichzeitig wirken sie eng vertraut. Vor Monaten haben sie sich über die App kennengelernt, bei einer Wanderung über den Gießener Wochenmarkt. Inzwischen verabreden sie sich regelmäßig zum Stehpaddeln. Gefunkt habe es zwischen ihnen erst auf den zweiten Blick. »Wir sind beide genauso bekloppt«, sagt Roxy. Ob sich ohne »Meet 5« jemals ihre Wege gekreuzt hätten? Sofort schütteln beide den Kopf. Roxy antwortet: »Niemals.«

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