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Als wär’s ein Dampfbad unter Palmen

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Mit Ludwig Harigs Erinnerungen im Reisegepäck, im Ohr und im Herzen an die Riviera.

»Rasche Wendung des Weges: / Vor uns wölbt sich das Meer. / Grün des Olivengeheges / rennt jetzt neben uns her, / brennende Fahnen aus Halmen, / Drahtverhau der Kakteen. / Weiße Villen mit Palmen / steigen, fallen, vergehn. / Weggeschmolzen die Linien, / feurig flirrt der Asphalt. / Nur noch die schwankenden Pinien / haben Stand und Gestalt.«

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Im August 1953 war der saarländische Romancier, Hörspielautor und Lyriker Ludwig Harig (* 1927) im Rausch der »Südwörter«, fühlte sich wie Gottfried Benn beim Dichten, als er gemeinsam mit seiner Freundin und späteren Frau Brigitte Gottschall sowie seinem Bruder Hermann erstmals ins Midi aufgebrochen war. Wir haben ihn im Ohr und sogleich im Herzen, als wir uns jüngst wieder einmal mittelmeerwärts aufmachen.

»Wem waren wir eigentlich gefolgt in diesem Sommer beim Aufbruch in den Süden, der uns den Duft der großen weiten Welt in die Nase blies: Irgendeiner zauberkräftigen Pansmusik oder dem aufputschenden Trommeln der Zigarettenindustrie?«, fragte sich der vielfach ausgezeichnete Harig in den frühen 1990ern *), als er mit Brigitte den in jungen Jahren hinterlassenen Spuren folgte. Die Erkenntnis, »Was uns früher anzog, stößt uns heute ab«, kann uns nicht irritieren.

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Harig stimuliert ungemein wohltuend, die Worte und Sätze haben an Strahlkraft nicht verloren: »Wie freundlich uns (…) die Landschaft entgegenkam! Sie stand nicht einfach da, sie spreizte sich mit Zypressenreihen, zierte sich mit Oleander- und Kakteengewinden wie die Bühne für ein bukolisches Theaterstück.

Sie hob und senkte sich, dreht sich in den Kehren und kam uns, in verschiedenerlei Gestalt verwandelt, bis vor die Räder gerollt: Bestickte Paradeteppiche der Küstenhügel wallten über die Häuser hinweg und schütteten Blüten auf den Asphalt, klobige Steinriesen des Estérel in goldbraune Panzer gehüllt, schritten über die Straße und setzten ihre Füße ins Meer.«

Die wohlklingenden Worte und Sätze des Saarländers machen einem das Dasein im Mediterranen zum vollendeten Genuss. Da fällt es leicht, so wie er festhielt, Kirchen und Klöster und Museen trotz ihrer viel gepriesenen Schätze links liegen zu lassen und – statt dem Redestrom eines Reiseführers oder dem Tönen einer Orgel – lieber dem Zikadenschnarren zu lauschen.

Will für uns ganz einfach heißen: Wie er und Brigitte dies bei all ihren Riviera-Neuauflagen machten, so vertrauen auch wir unserem Weg, den wir dort – freilich etwas später – um 1970 erstmals markierten; damals zunächst per Autostopp, später mit dem Interrail-Ticket, irgendwann mit der »Dyane«.

Zu Gast bei Renoir

Einmal dort, wie jüngst in Vence nordwestlich von Nizza, kann man es auch mit W.G. Seebald *) halten und sich vorstellen, wie in »Campo Santo« zu lesen, in einer solchen steinernen Siedlung oberhalb des Meeres am Berg zu wohnen – und sich bis ans Lebensende mit nichts zu beschäftigen als dem Studium der vergangenen und der vergehenden Zeit. Ein ideales Plätzchen für derlei Fantasien bieten Zapryna und Caroline mitten im historischen Ortskern von Vence. »Les 2« hat nur vier Gästezimmer; das schönste davon unterm Dach, ausstaffiert wie eine Existenzialistenbude in Saint Germain-des-Près, voller SchwarzWeiß-Fotos mit Jane Birkin und Serge Gainsbourg als Motiv.

Im 350 000 Einwohner zählenden Nizza fällt auf, dass sich die Stadt häutet, sich mehr zulegt als einen frischen Anstrich. Das nagelneue Stadion an der nördlichen Peripherie gleicht in seiner Formgebung der Münchner Arena – inklusive Namenszug eines Versicherers –, ist nur ein paar Nummern kleiner. Faszinierend die zwölf Hektar große Grünanlage, die sich entlang des Paillontales und westlich der Altstadt erstreckt, vom Nationaltheater über die imposante Place Masséna hinaus bis zum Jardin Albert 1er am Beau Rivage. Zu der von den Pariser Landschaftsarchitekten Christine und Michel Péna entworfenen und seit Herbst 2013 zugänglichen »grünen Lunge« zählen Spielflächen für Klein und Groß, begeh- und illuminierbare Flachbassins voller Fontänen, darunter eines, das ausschaut, als dampfe dort der Boden. Wasserkunst formvollendet – und ein Argument mehr für diese Rückkehr. Nicht zu vergessen die 2007 in Betrieb genommene Straßenbahn, entlang derer Künstler 14 Werke schufen (zum Preis von rund 3,3 Millionen Euro).

Kunst auch darin: Die Haltestellenansagen sind mit Klangbildern unterlegt, je nach Tages- und Jahreszeit wechselnd.

Wie weiter? Heute mal westwärts. Nach Cagnes-sur-Mèr, wo sich der Impressionist Auguste Renoir 1906 inmitten eines prächtigen Olivenhains ein Atelierhaus errichten ließ – eines mit fließend Wasser und Bad sowie Zentralheizung! Da war der Maler von »Tanz im Moulin de la Galette« bereits 65 und krank. Die museale Domaine am Chemin des Collettes ist 2013 renoviert worden, unter anderem erweitert um ein in den Berg gebautes Entrée.

Morgen ostwärts. Alten Pfaden folgend auf der unteren der drei Corniches nach Èze, dem Dorf am Wasser. Détente! Später springen wir in 90 Minuten über den steilen Sentier Friedrich Nietzsche hinauf nach Èze- Village, ins überlaufene Bergnest. Später noch höher, zum Croix du Pape. Dort der (wie immer an Steilküsten) imposante Blick hinaus an den Horizont – und hinein ins Herz, Jahrzehnte zurück. Noch ein wenig Ludwig Harig lauschen, Erinnerungen nachhängen: »Vor uns wölbt sich das Meer …« No. Schmidt

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