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Panikkäufe im Kreis Gießen: Ist der Ukraine-Krieg schuld?

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Von: Thomas Brückner

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»Leerverkäufe« der anderen Art: Hamstern und Lieferengpässe sorgen seit Ausbruch des Krieges in der Ukraine für einen Mangel an Speiseöl und Mehl.
»Leerverkäufe« der anderen Art: Hamstern und Lieferengpässe sorgen seit Ausbruch des Krieges in der Ukraine für einen Mangel an Speiseöl und Mehl. © DPA Deutsche Presseagentur

In deutschen Supermärkten sind wieder viele Regale leer. Die Hintergründe sind vielfältiger, als man zunächst denken würde. Eine Spurensuche im Kreis Gießen.

Gießen – Da werden Erinnerungen an den Beginn der Corona-Pandemie wach, als Supermärkte die weiße Fahne hissten: »Sorry, Klopapier und Hefe aus!«. Seit vier Wochen, mit Beginn des Krieges in der Ukraine, klaffen nun wieder Lücken in den Regalen: Vor allem Sonnenblumenöl und Mehl sind Mangelware. Eine Spurensuche.

Die freundliche Dame an der Kasse eines Grünberger Supermarktes hat für den Kunden einen heißen Insidertipp: »Dienstag ist Auspacktag, versuchen Sie es da noch einmal.« Allerdings: Kaum ausgepackt, war das begehrte Sonnenblumenöl am frühen Vormittag schon wieder ausverkauft. Der Selbstversuch ist gescheitert. »Wer zu spät kommt«

Hintergrund der leeren Regale in Supermärkten: „Hamsterkäufe, aber auch Lieferengpässe“

Tief blicken lässt an diesem Nachmittag auch das Regal im Markt am Grünberger Stadtrand. Gähnende Leere, wo sich ansonsten Weizenmehl, Typ 405, versammelt hat. Einzig eine einsame Packung der teuren Dinkelvollkorn-Verwandtschaft ist auszumachen. »Hamsterkäufe, aber auch Lieferengpässe«, erklärt die Kassiererin.

Dass die »Ausweichbewegung« aufs benachbarte Laubach, auf den dortigen Rewe- und Aldi-Markt, ebenso erfolglos verlief, sei der Vollständigkeit halber angefügt. Erfahrungen, die in diesen Tagen viele Verbraucher machen.

Beruhigendes vorweg: Sämtliche Nachfragen ergaben, dass die Kunden sehr wohl Verständnis ob der außergewöhnlichen Lage zeigten. Aber ist der Krieg in der Ukraine der einzige Grund für die Lieferengpässe?

Viele im Kreis Gießen begehrte Produkte kommen aus der Ukraine und Russland

Sicher ein gewichtiger, immerhin werden 53 Prozent des Sonnenblumenöls aus der Ukraine eingeführt, wie die Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung mitteilt. Und: Zweitwichtigster Lieferant ist die Russische Föderation. Bleibt nur, vor allem im Sinne der Menschen in der Ukraine, auf Deeskalation, auf einen Friedensschluss zu hoffen. Dazu sei nur der wenig Gutes verheißende Hinweis der Argarexperten angefügt, wonach in diesen Wochen die Aussaat in der Kornkammer Europas anstünde. Von zerstörten Handelswegen ganz zu schweigen.

»Da die Ukraine zu den weltweit wichtigsten Exporteuren zählt, sind aktuell geringere Angebote bei Speiseölen vorzufinden«, bestätigt auf GAZ-Anfrage Jana Albrecht, Pressereferentin des Handelsverbandes Hessen. In einzelnen Regionen könne dies auch auf andere Waren, wie Nudeln oder Mehl, zutreffen. Die Verfügbarkeit bestimmter Produkte hänge freilich von verschiedenen Faktoren ab. Zum einen von den individuellen Geschäftsbeziehungen zwischen Händlern, Verarbeitern und Erzeugern. Zum anderen von den Lieferketten, der Logistik, Rohstoffverfügbarkeit und Verarbeitungskapazitäten.

Experte warnt vor Hamsterkäufen: Produktion und Logistik sind darauf nicht ausgerichtet

Namens des Lebensmittelhandels mahnt Albrecht, nicht in Panik zu verfallen. Produkte des täglichen Bedarfs sollten in haushaltsüblichen Mengen gekauft werden. Auf diese Größen seien Produktion und Logistik eingerichtet. Und so sei es auch richtig, »dass Händler an Stellen, wo es vermehrt zu Hamstereinkäufen kommt, knappe Produkte auf haushaltsübliche Mengen reduzieren.«

Aussagen seines Branchenverbandes, die Christoph Sann als stellvertretender Leiter des Grünberger Rewe-Marktes bestätigt. Der Betrieb wird von dem selbstständigen Kaufmann Bernd Messerschmidt geführt.

Fragt man Kollegen mit engerer Anbindung an die Handelskette, so müssen diese auf die Kölner Zentrale verweisen - und die verweist auf inaktuelle Stellungnahmen des Managements, gibt sich ebenso »zugeknöpft« wie hiesige Leiter anderer Märkte: »Zur aktuellen Situation äußern wir uns nicht.«

Kreis Gießen: Spritpreise für leere Regale im Supermarkt mitverantwortlich

Der Grünberger Rewe kennt solche »PR-Fesseln« nicht. Wie die Mitbewerber ist er jedoch nicht frei von unverschuldeten Marketing-Pannen: Vor Längerem gesetzte Flyer warben für diese Woche mit dem Sonderangebot von »Mazola«-Sonnenblumenöl

Neben Ernterückgängen, Hamsterkäufen, aber auch der erhöhten Nachfrage aufgrund der Spenden für die Ukraine verweist Christoph Sann auf einen weiteren Grund für die »Leerverkäufe« von Öl und Mehl: die Spritpreise. »Früher sind Lieferanten auch mit einem halben Lkw losgefahren, jetzt warten sie, bis die Bestellungen den Laderaum ausfüllen.«

Die Energiepreise waren bereits im Vorjahr immens gestiegen, was zur Verteuerung von Betriebs- und Futtermitteln, von Agrarrohstoffen führte. Eine Entwicklung, die durch den Krieg verstärkt wird, zu weiter erhöhten Erzeugungs- und Herstellungskosten führen dürfte. Ist also mit weiterer Teuerung bei Lebensmitteln zu rechnen?

Kreis Gießen: Experten rechnen mit weiter steigenden Preisen

»Preisverhandlungen laufen direkt zwischen Handelsunternehmen und Lieferanten«, antwortet die Sprecherin des Hessischen Handelsverbandes. Ob die steigenden Kosten auf den Vorstufen direkt durch die Lieferketten weitergegeben und auf die Lebensmittelpreise durchschlagen würden, das sei nicht vorherzusagen.

Aktuell gingen Ökonomen davon aus, dass der allgemeine Anstieg bei Nahrungsmitteln erst mal bestehen bleibe. »Längerfristige Prognosen seien ob der dynamischen Entwicklungen der Märkte nicht drin. Am Ende aber versichert Albrecht wenigstens: »Auch in Hessen wird der Lebensmitteleinzelhandel alle Optionen nutzen, um weiter ein gutes Preis-Leistungs-Verhältnis anzubieten. Insbesondere auch für Verbraucher, die auf ihre Ausgaben schauen müssen.« (Thomas Brückner)

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