Volksparteien »nach wie vor wichtig«

Die Mehrheit der Bürgermeister im Kreis ist inzwischen parteilos. Die Bedeutung der Volksparteien sei aber weiter »sehr hoch«, betont der stellvertretende Kreistagsvorsitzende Martin Hanika (CDU). Im Interview weist er zudem auf ein bisher wenig beachtetes Ziel des Regionalplans hin: Es gehe darum, eine neue Balance zwischen Stadt und Umland zu schaffen.
Wir haben in dieser Zeitung auf die schwindende Zahl von Bürgermeistern von CDU und SPD im Kreis aufmerksam gemacht und einen »Niedergang der Volksparteien« beobachtet. Sie widersprechen?
Ja, sicher - mich hat auch der etwas despektierliche Unterton geärgert. Den Volksparteien kommt in den Parlamenten der Städte und Gemeinden eine wesentliche Bedeutung für das Funktionieren der kommunalen Einrichtungen zu. Ob Feuerwehr, Kitas oder Wasserversorgung: Die Mitglieder der Fraktionen in den Parlamenten regeln notwendige Dinge des gesellschaftlichen Lebens. Allein in meiner Heimatgemeinde Langgöns entscheiden die ehrenamtlichen Vertreter in der Legislaturperiode von fünf Jahren über Haushalte von insgesamt 125 Millionen Euro, sie haben somit eine hohe Verantwortung, das ist kommunale Selbstverwaltung. Ich streite dafür, dass diese Bedeutung auch anerkannt wird.
Aber man kann schwerlich abstreiten, dass CDU und SPD heute gemeinsam nicht mehr 90 Prozent der Wähler repräsentieren.
Na ja, mit den Grünen und den Freien Wählern als ebenso etablierte kommunale Gruppen bilden sie doch mehr als 90 Prozent ab, natürlich ist die Verteilung der Stimmen veränderlich.
Dann definieren Sie Volksparteien anders. Ist auch die AfD aus Ihrer Sicht eine Volkspartei?
Nein, sie ist Protestpartei. Bei Kommunalwahlen gab es auch in der Vergangenheit immer mal wieder Parteien, die nach wenigen Jahren wieder weg waren.
Sie werden doch zumindest eingestehen, dass sich die Rolle von CDU und SPD wandelt. So stark wie einst identifizieren sich die Menschen nicht mehr mit den einstigen Volksparteien, auf 40 Prozent plus x kommen sie nicht mehr.
In Langgöns ist die CDU mit 37,4 Prozent nah dran, auch auf Kreisebene liegen wir bei fast 35 Prozent. Daher: Im Freizeitbereich organisieren sich die Menschen über Vereine, Naturschutzgruppen, den Sport oder die Musik. Im politischen Bereich sind es die Parteien. Ihre Bedeutung ist nach wie vor sehr hoch.
Woran machen Sie das fest?
An den Aufgaben.
Felix Döring, der Vorsitzende des SPD-Unterbezirks, sagt: Wir müssen stärker präsent im Leben der Menschen sein. Gelingt dieses Ziel? In vielen Gemeinden findet ein Parteileben abseits von Wahlkampf kaum statt, sagt die Politikwissenschaftlerin Dorothée de Nève.
Das mag eine akademische Sicht sein, ich teile sie nicht. Ich lade Sie mal zu unserem jährlichen Haxenessen der CDU in Langgöns ein, das organisieren wir jetzt seit etwa 40 Jahren. Da sitzen 100, 120 Leute, da ist die Bude voll, Menschen aller politischen Couleur und Politik live, oft bis nach Mitternacht. In anderen Orten gibt es ähnliche Veranstaltungen.
Aber eine Überalterung der Ortsverbände lässt sich ja nicht abstreiten.
Die gibt es sicher mancherorts auch. Aber nur zwei Beispiele aus Langgöns: Der Schuldezernent des Landkreises, der Langgönser Christopher Lipp, ist gerade mal 30, Bürgermeister Marius Reusch noch keine 40 Jahre alt.
Volksparteien haben früher maßgeblich die Gesellschaft zusammengehalten. Tun sie das noch heute?
Auf politischer Ebene sicher. Es gibt doch ein grundlegendes Bedürfnis von Menschen nach Gemeinschaft, in Vereinen, in Sport und Musik, in der Kirche oder in Initiativen. Und im Politischen sind das die Parteien. Und auch hier gibt es, ebenso wie in den Parlamenten, zunächst ein prinzipielles Bedürfnis nach Übereinstimmung. Der eigentliche Wert gerade in der parlamentarischen Zusammenarbeit besteht im gegenseitigen Austausch der jeweiligen Vorstellungen. Und bereits auf Parteiebene wird diskutiert, um Positionen außerhalb der eigenen Blase überprüfen zu können.
Hat sich dieses Denken in der eigenen Blase während der Pandemie vielleicht verstärkt?
Ich vermisse die richtigen Diskussionen im Realen, ja. Über Soziale Netzwerke wie Twitter und Facebook kann das Wesentliche gar nicht ausgetragen werden. Vor einer Spaltung der Gesellschaft hätte ich tatsächlich Angst, auch das Verhältnis von 70 Prozent der Geimpften und 30 Prozent der Ungeimpften beispielsweise bedauere ich sehr. Vor allem aber macht mich das mangelnde Bemühen, diese Differenz im Gespräch auszutragen, nachdenklich.
Wie könnte man denn einen groß angelegten tatsächlichen Meinungsaustausch erreichen?
Eine meiner Grundüberzeugungen ist, dass man vor allem über das Gespräch etwas erreicht. Und auch auf der kommunalen Ebene gilt doch: Es ist nicht nur der Kaiser tot, Es gibt auch keinen Landvogt mehr. Es gibt - Dr. Friedrich Ludwig Weidig sei Dank - eine politische Basis in der Gesellschaft, die auf demokratischem Weg das umsetzt, was die Gemeinschaft für wesentlich und richtig hält. In Parteien wie Parlamenten sitzen Eisenbahner, Supermarktverkäuferinnen, Beamte und Ärztinnen zusammen, die haben sich dort auszutauschen und zu befinden. Für den gesellschaftlichen Zusammenhalt sind viele andere aber ebenso wichtig.
Zum Beispiel?
Die Vereine, die Kirchen, übrigens auch die Volksbanken und Sparkassen. Es ist die Zeit gekommen für Gespräche mit den heimischen Banken, über deren Präsenz auf dem Land und ihre Verbundenheit mit den Menschen der Region. Da geht es auch um kommunale Daseinsvorsorge und die Lebensqualität vor Ort.
Das Leben im Ort, die Frage von Wohn- und Gewerbeflächen, ist Grundthema des Regionalplans. Sie sitzen für den Kreis in der Regionalversammlung. Was sind die wichtigsten Ziele des neuen Regionalplans?
Der Gesichtspunkt der Nachhaltigkeit ist durchgängig in der gesamten Planung, der Erhalt lebendiger Orts- und Stadtkerne steht vor der Inanspruchnahme neuer Flächen. Daneben steht das Ziel der Schaffung gleichwertiger Lebensverhältnisse in der gesamten Region.
Wie soll der Regionalplan konkret dafür sorgen?
Indem er das aktuelle Stadt-Land-Gefälle reduziert. Die Verkehrssysteme sind schon zurzeit völlig überlastet, das Schienennetz wie die Fernstraßen. Schauen Sie morgens mal auf die A5-Staus schon in der Wetterau. Die Lebensqualität in den Ballungsräumen und größeren Städten nimmt dramatisch ab, die Feinstaub- und CO2- Belastung wird unerträglich. Und auf der anderen Seite drohen viele ländliche Regionen mit intakter Infrastruktur zu reinen Schlafstätten zu werden. Wir benötigen eine neue Balance.
Mit welchen Mitteln?
Indem wir zunächst allen Kommunen ein Mindestmaß an Flächen für ihre Weiterentwicklung zuordnen, auch für Wohnraum ist der Bedarf unübersehbar. Und darüber hinaus wollen wir verstärkt Arbeitsplätze dort ermöglichen, wo die Menschen wohnen. Wir wollen wieder mehr Leben und Arbeiten gerade in den ländlichen Regionen ermöglichen, vor allem an Orten mit guter Verkehrsanbindung, an Verkehrsachsen, auch außerhalb des Ballungsraumes und von Oberzentren.
Das widerspricht doch aber dem Gedanken der Nachhaltigkeit.
Nein, genau das führt zur Nachhaltigkeit. Wir haben im Kreis täglich mehr als 80 000 Auspendler. Wenn jemand in seinem Mittelklassewagen 12 000 Kilometer im Jahr weniger zu fahren hat, spart er zwei Tonnen CO2-Ausstoß ein. Wir müssen die Arbeit wieder eher dort hinbringen, wo die Leute wohnen - und den Geldautomaten auch. FOTO: PM