Wirbel um Campact-Kampagne im Wahlkreis 172: Hat sie das Ergebnis beeinflusst?

Die Einmischung in den Bundestagwahlkampf im Wahlkreis 172 durch den Verein Campact ist höchst umstritten. Doch war die Kampagne, mit der man bundesweit in sechs Wahlbezirken den Einzug bestimmter AfD- und CDU-Kandidaten verhindern wollte, überhaupt erfolgreich? Am Mittwoch hat Campact Bilanz gezogen und die hiesigen Grünen und Linken kritisiert. Die wiederum fühlen sich bevormundet.
Gießen – Bundesweite Schlagzeilen und deutliche Kritik von den hiesigen Parteien: Die Erststimmen-Kampagne des Vereins Campact, mit dem dieser in sechs deutschen Wahlkreisen den Einzug bestimmter CDU- und AfD-Politiker in den Bundestag verhindern wollte, hat für einige Aufregung gesorgt. Auch im Wahlbezirk 172, zu dem neben den Kommunen des Lahn-Dill-Kreises auch Biebertal und Wettenberg gehören. Denn dort hatte Campact im Vorfeld auch die Wähler anderer Parteien dazu aufgerufen, ihre Erststimme an SPD-Kandidatin Dagmar Schmidt zu vergeben - der nach Einschätzung des Vereins aussichtsreichsten Kontrahentin von CDU-Rechtsaußen Hans-Jürgen Irmer. Kritik dafür gab es aus fast allen Lagern. Die Frage, die im Raum steht, lautet: Ist das demokratisch?
Naheliegend scheint, dass der von Campact ins Visier genommene Irmer an der Kampagne kein gutes Haar lässt. »Niveaulos und hetzerisch« empfand er diese, aber nicht nur. »Ich halte das verfassungsrechtlich für fragwürdig«, sagte der 69-Jährige, der am Sonntag das Direktmandat verpasst hat und nicht über die Landesliste abgesichert war. Daher habe er bereits im Vorfeld der Wahl den Bundespräsidenten um Prüfung gebeten, eine Antwort stehe noch aus. »Dieser linke Verein hat massiv Geldmittel - wo auch immer die herkommen - eingesetzt, um der SPD-Kandidatin einen Vorteil zu verschaffen«, sagte Irmer. »Das ist verdeckte Parteienfinanzierung.«
Bundestagswahlkreis 172 (Lahn-Dill, Gießen): Campact wehrt sich gegen Vorwürfe
Der Verein Campact weist diesen Vorwurf mit der Begründung zurück, dass man keine inhaltlichen Absprachen getroffen und Distanz zu den unterstützten Kandidaten gewahrt habe. »Versteckte Parteienfinanzierung wäre es erst dann gewesen, wenn diese Kampagnen in Absprache mit den Kandidaten vor Ort passiert wären«, sagte Dr. Felix Kolb, geschäftsführender Vorstand. »Das haben wir natürlich im Vorhinein durch Rechtsanwälte prüfen lassen.« Laut Campact stammt das Budget des Vereins zudem von sogenannten Dauerförderern, die durchschnittlich 105 Euro pro Jahr zahlen würden, sowie von kampagnenbezogenen Kleinspenden. »Es gibt keinen großen Finanzier«, so Kolb.
Doch inwiefern haben die Kampagnen die Ergebnisse in den betroffenen Wahlkreisen überhaupt beeinflusst? Diese Frage konnte Campact im Rahmen einer Pressekonferenz, bei der am Mittwoch Bilanz gezogen wurde, nicht eindeutig beantworten. »Ich denke, dass die Kampagne einen gewissen Einfluss hatte«, sagte Kolb angesichts der Wahlniederlage von Irmer im Wahlkreis 172 zunächst. Angesichts der Zahlen verwunderte diese Einschätzung jedoch: So hat Christiane Ohnacker als Kandidatin der Linken fast ebenso viele Erststimmen erhalten wie ihre Partei Zweitstimmen. Und auch bei den Grünen lassen sich hier keine besonderen Auffälligkeiten erkennen. Gleichzeitig fallen die Stimmenverluste von Irmer sowie die Stimmengewinne von Schmidt jeweils geringer aus als die ihrer Parteien im Lahn-Dill-Kreis und die wiederum geringer als die der Bundesparteien. Auf entsprechende Nachfrage ruderte Kolb dann auch zurück und befand: »Letztendlich war es wohl der Bundestrend, der den Sieg von Frau Schmidt mit sich gebracht hat.«
Bundestagswahlkreis 172 (Lahn-Dill, Gießen): Kritik an Linken und Grünen
Die erfolgreiche Kandidatin, die die Kampagne unter Verweis auf die Positionierung von Wirtschaftsverbänden, Gewerkschaften und anderen Organisationen im Wahlkampf für nicht verwerflich hält, sprach den Bemühungen von Campact zumindest eine aufklärerische Funktion zu. Vielen Menschen sei gar nicht klar, was man mit Erst- und Zweitstimme bewirke und wie man diese sinnvoll einsetzen könne, sagte Schmidt. »Wenn Campact, wie ich glaube, einen Beitrag dazu geleistet hat, dass die Menschen darüber nachdenken, war das ganz bestimmt nicht schlecht.« Ebenso wie Irmer glaubt Schmidt jedoch nicht, dass die Kampagne großen Einfluss auf die Stimmverteilung hatte.
Dafür macht Kolb letztlich die Grünen sowie die Linke vor Ort verantwortlich, die im Vergleich zu anderen Wahlkreisen besonders negativ auf die Kampagne reagiert hätten. Obwohl es Dank einer repräsentativen Forsa-Umfrage »eine relativ sichere Datenlage« dafür gegeben habe, dass maximal Schmidt Chancen darauf habe, sich gegen Irmer durchzusetzen, habe Grünen-Kandidatin Caroline Krohn auf Gesprächsangebote nicht reagiert. Und die Linke habe zunächst zugesagt, die Kampagne mitzutragen, sich dann aber dagegen entschlossen.
Bundestagswahlkreis 172 (Lahn-Dill, Gießen): Kampagne als „bevormundend“ empfunden
Beide Parteivertreterinnen dementierten diese Darstellung - und kritisierten das Vorgehen von Campact. So hätte sich Ohnacker gewünscht, dass der Verein im Vorfeld Kontakt aufgenommen hätte, um zu schauen, ob man sich auf eine Kandidatin einigen kann. Und auch Krohn empfand die Kampagne als »bevormundend«. Sie kritisierte die Wahl der SPD »als Stimme gegen rechts«, nachdem sich diese nicht gegen Irmer gestellt habe. Zum anderen, so Krohn, sei die Wahl nicht nur eine Wahl gegen rechts, sondern auch eine Klimawahl gewesen. Und ihr wegen besagter Forsa-Umfrage aus dem Juli, in der Schmidt die meisten Chancen zugestanden wurden, in den Rücken zu fallen, sei unfair. Schließlich habe sie da noch am Anfang des Wahlkampfes gestanden, während Schmidt nach acht Jahren im Bundestag schon bekannter war.