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Ungeimpfte Pfleger verlieren erneut

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Von: Stefan Schaal

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Ein Urteil des Gießener Arbeitsgerichts gibt einem Seniorenzentrum in Pohlheim recht, das zwei ungeimpfte Pflegekräfte ohne Fortzahlung des Gehalts freigestellt hat. Deren Klage war im April bereits in einem Eilverfahren abgewiesen worden. Während der Fall juristisch klar erscheint, prägten streitbare Äußerungen eines Rechtsanwalts zur Covid-19-Impfung die Verhandlung.

Wahrheitsfindung ist in der Regel das vorrangige Ziel eines Gerichtsprozesses. In einer Verhandlung am Gießener Arbeitsgericht am gestrigen Dienstag indes standen immer wieder eher streitbare Behauptungen zum Impfen im Mittelpunkt - ausgesprochen vom Gießener Rechtsanwalt Emmanuel Kaufmann, der nicht nur das Mandat für zwei ungeimpfte und daher von einem Pohlheimer Seniorenzentrum freigestellte Pfleger übernommen hatte, sondern auch deren Weltbild in deutlichen Worten vertrat.

Impfstoffe gegen Covid-19 seien nur »bedingt zugelassen« und vor diesem Hintergrund »gefährlich«, sagte Kaufmann, aufgrund der Nebenwirkungen seien sie »toxisch«. Die Schutzwirkung des Impfens sei in keiner Weise vergleichbar mit einem Helm auf einer Baustelle. Menschen würden Substanzen verabreicht, Pflegern werde durch die Pflicht zum Impfen in Seniorenzentren »in ihre Körper hineinregiert«. Kaufmann wurde immer lauter. »Da geht es doch um Menschenleben«, sagte er. Der Impfstoff könne bei Toten noch Monate später nachgewiesen werden. Dann fügte er hinzu: »Das ist kein Unsinn.«

Richterin Susanne Blech schritt während Kaufmanns Äußerungen mehrfach ein, bezeichnete Argumente des Rechtsanwalts als »nicht relevant«. Sie wolle weder wissenschaftliche noch politische Argumente austauschen, wiederholte sie. Es gehe einzig um den Text des Infektionsschutzgesetzes. Kaufmann indes wehrte sich: »Ich möchte nicht hören, dass Sie das nicht hören wollen«, erwiderte er.

Es waren Diskussionen in einem juristisch recht klaren Verfahren. Demnach war die Vorgehensweise des Seniorenzentrums der Alloheim-Gesellschaft in Watzenborn-Steinberg rechtens, zwei ungeimpfte Pflegekräfte ohne Fortzahlung des Gehalts freizustellen.

Der 29 Jahre alte bisherige Wohnbereichsleiter aus Braunfels und die 36 Jahre alte Pflegefachkraft aus Pohlheim hatten bis zum Stichtag am 15. März dieses Jahres keinen Nachweis über eine Covid-19-Impfung vorgelegt. Das Infektionsschutzgesetz gebe Arbeitgebern im Bereich der Pflege in solchen Fällen die Möglichkeit einer Freistellung, erklärte die Richterin. Die Klagen der beiden Pfleger würden daher abgewiesen.

Nach dem laut Gericht nicht zu beanstandenden Hygienekonzept der Betreibergesellschaft des Seniorenzentrums könne eine Tätigkeit in Pflegeheimen nur von Personen ausgeübt werden, die nach Paragraf 20a des Infektionsschutzgesetzes geimpft oder genesen sind. Davon ausgenommen sind neben schwangeren Frauen auch Personen, die laut Gesetzestext aufgrund »einer medizinischen Kontraindikation« - also beispielsweise einer allergischen Reaktion - nicht gegen das Coronavirus geimpft werden können. Ein solcher Fall liege aber nicht vor, erklärte Blech. Die fünfte Kammer des Arbeitsgerichts bestätigte damit nun im Hauptverfahren eine bereits im April dieses Jahres im Rahmen eines Eilverfahrens getroffene Entscheidung.

»Es steht nicht im Arbeitsvertrag, das sich die Pflegekräfte impfen lassen müssen«, erklärte Kaufmann. »Meine Mandanten sind arbeitsfähig, arbeitswillig und nicht gefährlich.« Der Rechtsanwalt wies darauf hin, dass dem Gesetzestext zufolge bei Fehlen eines Impfnachweises die Leitung der jeweiligen Einrichtung das Gesundheitsamt benachrichtigen muss. Die Entscheidung, Personal freizustellen, unterliege dem Gesundheitsamt. Die Richterin betonte, dass das Gesetz durchaus Arbeitgeber berechtige, eine Freistellung auszusprechen.

Blech wies auf das im Mai veröffentlichte Ergebnis einer Prüfung der einrichtungsbezogenen Impfpflicht durch das Bundesverfassungsgericht hin. Die Teil-Impfpflicht ist demnach verfassungskonform. Zwar greife sie in das Recht auf körperliche Unversehrtheit der Mitarbeiter ein. Hinzu komme, dass diejenigen, die sich nicht impfen lassen wollen, mit beruflichen Konsequenzen rechnen müssen. Der Schutz von Alten und Kranken habe aber einen »überragenden Stellenwert«, erklärten die Verfassungsrichter.

Inzwischen gebe es zur Covid-19-Impfung neue Erkenntnisse und eine neue gesellschaftliche Haltung, sagte Kaufmann. Vor einem halben Jahr hätten Impfverweigerer noch als »rücksichtslos« und als »Terroristen« gegolten, sagte Kaufmann, dies habe sich geändert und müsse bei einer Entscheidung über die Klage seiner Mandanten berücksichtigt werden.

Der Alloheim-Gruppe gehe es darum, durch die Freistellung Personalkosten zu sparen, sagte Kaufmann. Rechtsanwältin Kathy Just, die die Alloheim-Gruppe vertrat, widersprach: »Es geht um den Schutz vulnerabler Gruppen, nicht um finanzielle Fragen.«

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