Tödliches Ende eines Besuchs

Eine Mutter ist mit ihren beiden erwachsenen Töchtern auf dem Rückweg von einem Besuch, sie wollen mit der Bahn nach Kassel fahren. Doch da kommen zwei der drei Frauen nicht mehr an: Auf den Gleisen im Bahnhof von Großen-Linden werden sie am Dienstagabend von einem durchfahrenden Zug erfasst und sind sofort tot.
Auf dem Bahnhof in Großen-Linden herrscht am Mittwochnachmittag ganz normales Treiben. Pendler und Schüler warten auf einen Zug. Bis auf einen kleinen Blumentopf zeugt nichts mehr von dem tragischen Unglück, das sich dort wenige Stunden zuvor ereignet hat. Es ist gegen 21.45 Uhr am Dienstagabend, als eine 55-jährige Mutter mit ihren 19 und 20 Jahre alten Töchtern auf dem Rückweg von einem Besuch in Mittelhessen ist. Das Trio will mit dem Zug nach Kassel zurückfahren, so die Ermittlungen der Polizei.
Die Bahnstrecke Frankfurt - Gießen - Kassel ist an dieser Stelle zweigleisig, die Schienen verlaufen über Kilometer hinweg fast schnurgerade. Im Bahnhof gibt es zwei Bahnsteige, einen für jede Fahrtrichtung. Eine Unterführung verbindet die Bahnsteige, sie ist halbwegs gut beleuchtet. Warum die Frauen diese anscheinend nicht genutzt haben, ist eine der offenen Fragen. Bis zum Stopp des nächsten Zugs Richtung Kassel ist zu diesem Zeitpunkt laut Fahrplan noch fast eine halbe Stunde Zeit.
Die Strecke ist zu diesem Zeitpunkt gut ausgelastet. Im Minutentakt rollen Güterzüge, Intercitys und Regional-Expresse vorbei, teils mit hohem Tempo. Gegen 21.45 Uhr ist die Regionalbahn von Treysa in Richtung Frankfurt unterwegs. Da sie in Linden nicht halten muss, fährt der Zug laut Polizeiangaben 160 km/h.
Als der Zug kurz vor dem Bahnhof Großen-Linden ist, befindet sich die Mutter im Gleisbett vor dem Bahnsteig in Fahrtrichtung Frankfurt. Ihre Gehfähigkeit ist einschränkt. Ihre beiden Töchter befinden sich auf dem Bahnsteig. Die 20-Jährige bemerkt den heranfahrenden Zug. Sie versucht noch, ihre Mutter von den Gleisen zu ziehen, doch sie hat keine Chance. Beide Frauen werden von der Bahn erfasst und tödlich verletzt.
Der Zugführer kann den Zusammenprall trotz Schnellbremsung nicht verhindern - der Bremsweg beträgt bei solch einer Geschwindigkeit und durch die Masse des Zugs mehrere Hundert Meter. Die Jüngere der beiden Schwestern sieht alles vom Bahnsteig aus mit an. Sie wird mit einem Schock ins Krankenhaus gebracht.
Erinnerungen an 2020
Auch im Zug stehen zwei der rund 30 Fahrgäste nach dem Unglück unter Schock. Alle werden vom Rettungsdienst betreut, ein Notfallmanager der Bahn kümmert sich um den Lokführer. Die Bahnstrecke ist im Bereich Großen-Linden bis 1.10 Uhr gesperrt. Polizei und Bundespolizei nehmen die Spuren des Unfalls auf, die Auswertung dauert weiterhin an.
Der Unfall erinnert an ein Unglück im August 2020, als auf der zweigleisigen Bahnstrecke Marburg - Gießen zwei Schwestern mit einer Freundin zusammen hinter einem stehenden Zug die Gleise überquerten. Eine 22-Jährige wurde dabei von einem außerplanmäßig fahrenden Zug erfasst und getötet.
Die für Bahnstrecken zuständige Bundespolizei warnt dringend davor, Bahngleise abseits der offiziellen Überwege zu überschreiten: »Es ist lebensgefährlich«, sagt ein Polizeisprecher. 2021 wurden deshalb über 250 Ordnungsstrafen verhängt. Muss ein Zug deswegen bremsen und ein Fahrgast kommt zu Schaden, ermittelt die Bundespolizei sogar wegen einer Straftat. Was jedoch viel schlimmer wiegt als ein Bußgeld: »Mancher bezahlt diese Abkürzung mit dem Leben.«