1. Gießener Allgemeine
  2. Kreis Gießen

Tod an der Lahn

Erstellt:

Von: Ursula Sommerlad

Kommentare

us_henrich_030922_4c
Der Licher Krimi-Autor Henrich Dörmer siedelt seinen jüngsten Mordfall am Gießener Lahnufer an. © Ursula Sommerlad

Henrich Dörmer mordet wieder. In »Lahnbrand« lässt der Krimi-Autor aus Lich seinen Kommissar Simon Rau erneut im Gießen der 1920er Jahre ermitteln. Bei der Lösung des Falls spielen Justus von Liebig, die Volkshalle und ein Schuhgeschäft am Selterstor eine Rolle.

Henrich Dörmer sitzt im Biergarten am Gießener Bootshaus und blinzelt in die Abendsonne. Neben ihm plätschert friedlich die Lahn. Zwei Kilometer flussaufwärts, im Lahnknie kurz vor der Badenburg, hat dieser freundliche Mann einen Menschen zu Tode gebracht. Doch der Mord liegt lange zurück, fast 95 Jahre. Und er geschah auf dem Papier. Dörmer schreibt Kriminalromane. Das Opfer, einen ehemaligen Marineoffizier, hat er sich ausgedacht. Ebenso den Tatort, einen Golfplatz, den es an der Lahn nie gegeben hat. Aber sonst ist vieles, was der Autor aus Lich in seinem jüngsten Werk beschreibt, authentisch. Für »Lahnbrand« ist Dörmer in das Gießen der 1920er Jahre zurückgekehrt, das er schon vor zwei Jahren im Vorgänger »Fehlbrand« so lebendig beschrieben hat.

Seit 2016 publiziert der heimatkundlich versierte Licher Kriminalromane. Alle haben historische Bezüge. Doch während die Kriminalfälle der ersten vier Bände in der Gegenwart angesiedelt waren, unternahm Dörmer 2020 in »Fehlbrand« erstmals eine Zeitreise in die Goldenen Zwanziger des letzten Jahrhunderts. Eine Besichtigung des Gießener Flughafen-Geländes, aber auch die Serie »Babylon Berlin« hatten ihn dazu angeregt.

Seine Recherchen über das alte Gießen waren intensiv, die Materialfülle groß. »Es gab so viele Orte und Geschichten, von denen ich noch nicht erzählt hatte«, sagt Dörmer. Und so schickt er in »Lahnbrand« den junge Kriminalkommissar Simon Rau erneut zu Ermittlungen durch eine Stadt, die es so nicht mehr gibt. Das alte Gießen, das beim Bombenangriff am 6. Dezember 1944 unterging, wird auf gut 340 Seiten wieder lebendig.

Für den Kriminalfall, den roten Faden des Buches, hat der Autor auf einen bewährten Trick zurückgegriffen. Die Ereignisse in Gießen haben eine Vorgeschichte, die den Bogen zu den Salpeterfahrten deutscher Großsegler nach Südamerika schlägt. Dass Salpeter sowohl zur Produktion von Sprengstoff als auch von Dünger benötigt wird, bringt den Kommissar schließlich auf die Lösung des Falls, in dem eine junge Kriminalinspektorin aus Hamburg eine ziemlich undurchsichtige Rolle spielt.

Mehr soll an dieser Stelle nicht verraten werden. Nur so viel: Auch Justus von Liebig, Alexander von Humboldt und ein Steckbrief mit dem Konterfei von Georg Büchner sind für die Lösung des Falles von Bedeutung

Henrich Dörmer ist in Lich aufgewachsen und in Grünberg zur Schule gegangen. Eine Jugend zwischen Fachwerk. Mit Gießen, der Stadt, in der er seit vielen Jahren als Banker arbeitet, hatte er lange nichts am Hut. »Ich fand sie potthässlich«, gesteht er unumwunden ein. Er hat seine Meinung geändert. »Gießen neu zu entdecken, das war wirklich schön«, sagt er. Viele Orte seien ihm im Zuge seiner Recherchen richtig ans Herz gewachsen.

Da wäre zum Beispiel die Lahn, auf der er den sportlichen Kommissar zum Tatort rudern lässt. Da wäre die Volkshalle, in der er einen Boxkampf ansiedelt, in dessen Verlauf der Lokalmatador tot zu Boden sinkt. Und vor allem wäre da der Seltersweg mit seinen Geschäften, den urigen Kneipen und dem mondänen Hotel Prinz Carl.

Henrich Dörmer ist Jahrgang 1973. Den alten Seltersweg kann er aus eigener Anschauung nicht kennen. Aber er kann ihn dank seiner Fantasie und anhand von Quellen und überlieferten Geschichten zum Leben erwecken. Auch wenn keine Namen genannt werden: Wer sich in Gießen ein bisschen auskennt, wird viele Personen und Schauplätze wiedererkennen. Den Feinkosthändler im weißen Kittel, in dessen Laden es nach frisch geröstetem Kaffee duftet. Das Schuhgeschäft am Selterstor mit dem Kinderkarussell für die jüngsten Kunden. Und den »Lotzekasten«, jene Urgießener Kneipe, in der die halben Hähnchen an einer Seilbahn durch den Schankraum gezogen wurden.

Schon in seinen früheren Krimis, deren Schauplätze unter anderem Lich und die Rabenau waren, hat Dörmer einige seiner Figuren Platt schwätzen lassen. In »Lahnbrand« kommt eine weitere Sprache hinzu: das Manische. »Es gehört zu Gießen wie der Schiffenberg«, findet der Autor, der trotz seiner intensiven Beschäftigung mit Gießen Lokalpatriot geblieben ist: »Nichts geht über Lich.« Und deshalb lässt er wenigstens in einem Kapitel seinen Kommissar mit der Butzbach-Licher Eisenbahn die Wetter entlangrattern.

Dörmer veröffentlicht seine Krimis bei »Books on Demand« und als E-Book. Als Self-Publi-sher muss er fast alles selbst machen. Den Stadtplan in der Mitte des Buches hat er gestaltet und auch das Titelbild von »Lahnbrand«, das den Fluss zeigt, ein rot-weißes Boot und dahinter all die markanten Gebäude, die im Roman eine Rolle spielen.

Der Lahn will der Licher auch weiterhin treu bleiben. Nicht unbedingt als Autor, sondern rein privat. Im Zuge seiner Recherchen durfte der passionierte Golfspieler bei der »Hassia« mitrudern. »Vierer mit Steuerfrau«, erzählt er. Es hat ihm gefallen. »Da werde ich wieder hingehen.«

Auch interessant

Kommentare