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Tathergang weiter unklar

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Von: Rüdiger Soßdorf

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Vor dem Landgericht Gießen wird derzeit ein Drohnenflug am Gleiberg verhandelt, der tödlich endete. © Oliver Schepp

Was genau trug sich in den Sekunden vor dem Messerstich zu, der Helmut G. aus Gleiberg am 29. August 2020 das Leben kostete? Was passierte, als Werner D. und Helmut G. einander gegenüberstanden? Die Aussage von G.s Freund und Vereinskollegen Torsten P. als Zeuge vor der Strafkammer des Gießener Landgerichts am gestrigen Donnerstag jedenfalls konnte just zu diesem Punkt nichts Erhellendes beitragen.

Er sei wie benebelt gewesen, und er habe den Messerstich schlicht nicht gesehen, sagte der heute 63-jährige Gleiberger als Zeuge aus. Denn der Mann lag zu dem Zeitpunkt am Boden.

Vorausgegangen war ein Streit zwischen dem Gleiberger und dem heute 71 Jahre alten Angeklagten wegen einer Drohne in der Luft. Werner D., ein pensionierter Kripo-Beamter, der im westlichen Vogelsberg wohnt, hatte das Gerät am Gleiberghang aufsteigen lassen, um Bilder von der imposanten Burganlage zu machen. Torsten P., der mit Helmut G. zu dem Zeitpunkt etwas weiter oben im Hang an einem alten Brunnen arbeitete, erinnert sich vor Gericht so: Er sei zu dem Drohnen-Piloten und dessen Begleiter gegangen und habe den beiden Männern gesagt: Er wolle nicht, dass das Fluggerät seine drei Pferde auf einer nahen Koppel zum Scheuen bringe. Schon einmal seien ihm Pferde wegen des erschreckenden Geräuschs einer Drohne (»wie ein Wespenschwarm«) durchgegangen. Das habe er verhindern wollen. Schließlich trage er Verantwortung für die Tiere, und an einem schönen Samstagnachmittag seien viele Spaziergänger am Gleiberg unterwegs. D. habe geantwortet, dass er eine Genehmigung des Gleibergvereins zum Überfliegen der Burg habe. »Ich lasse mir nichts verbieten«, soll er gesagt haben. Laut P. sei der heutige Angeklagte schnell aggressiv geworden mit den Worten: »Was willste denn? Willste mich hauen? Oder willste mich stechen?« Und dann habe D. auch schon sein Messer gezeigt.

Er sei dann ein paar Schritte zu Seite gegangen, erinnert sich der Gleiberger P. Und habe sein Handy gezückt, um damit Aufnahmen von der Situation zu machen, um diese später dem Gleibergverein vorlegen zu können. Denn der habe schließlich die Genehmigung erteilt. Daraufhin sei die Sache schnell eskaliert. Der Drohnen-Pilot habe sich auf ihn gestürzt, »nach dem Handy geschlagen«, sagte der Gleiberger aus.

Wer den ersten Faustschlag geführt hat, dazu gingen die Darlegungen der Kontrahenten auseinander. Beide nehmen für sich in Anspruch, sich nur verteidigt zu haben. Der Angeklagte D. hatte in den vergangenen Tagen von einem Ringen gesprochen, Der Gleiberger Pferdehalter räumte gestern erst auf Nachfrage von Richterin Regine Enders-Kunze ein, womöglich den ersten Hieb geführt zu haben. »Ob ich getroffen habe, das weiß ich aber nicht.« Und nein: Keinesfalls habe er zum Drohnenflieger gesagt: »Ich hau dir auf die Fresse.« Er habe in keiner Weise gedroht. P. schildert vielmehr, dass er, durch einen kaputten Meniskus gehandicapt, umgehend durch einen Schlag und einen Tritt zu Boden gegangen sei. Dort jedenfalls habe er sich noch befunden, als ihm Helmut G., das spätere Opfer, zu Hilfe eilte. Den haben beide Kontrahenten, so sagen sie übereinstimmend, nicht kommen sehen. Was dann genau zwischen Helmut G. und Werner D. passierte, das habe er, weil am Boden und leicht benebelt, nicht sehen können, so P.s Einlassung. »Das ging ja alles so schnell.«

Erst als sein Freund aufgeschrien habe, »Au, au, der hat mich gestochen!«, da sei er wieder hellwach gewesen und habe den Angeklagten mit dem Messer in der Hand an sich vorbeigehen sehen.

Eben dieses Messer, die Tatwaffe, ist bis heute spurlos verschwunden. Es wurde auch bei einer Absuche des Geländes mit einem Metalldetektor nicht gefunden. Was es nun genau für ein Modell war, darüber gehen die Aussagen auseinander. Der Angeklagte ließ in den vergangenen Tagen dem Gericht vergleichbare Taschenmesser vorlegen. Der Zeuge P. beteuerte gestern, bei dem fraglichen Klappmesser handele es sich um ein sogenanntes Tanto-Messer; ein japanisches Polizei- und Militärmesser mit spezieller Klinge. »Ich kenne mich aus mit so etwas. Ich bin Jäger.« Ob Taschenmesser oder Tanto-Messer: Es muss jedenfalls groß genug gewesen sein, um zehn bis elf Zentimeter tief in den Körper einzudringen und dabei eine 2,2 bis 2,3 Zentimeter breite Wunde zu schneiden. Das legte der Rechtsmediziner Gerhard Georg Kernbach-Wighton als Gutachter dar. Dabei bohrte sich der Stahl bis in die Spitze der rechten Herzkammer vor. Die Verletzung was so groß, dass G. wenig später trotz Reanimation und Notoperation in der Uniklinik in Gießen starb.

Der Prozess wird am kommenden Montag mit den Plädoyers von Staatsanwaltschaft, Verteidigung und Nebenklage fortgesetzt. Für Mitte nächster Woche ist das Urteil zu erwarten.

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