Taktgeber ist die Kunst

Ihre Passion kennt keine Uhrzeit: Für die Malerei ist es ihr selten zu früh und nie zu spät. Brigitte Schön hat erst mit Beginn der zweiten Lebenshälfte zur Kunst gefunden. Heute beherbergt das Zuhause der 80-Jährigen in Steinbach einige Hundert Kunstwerke.
Liebevoll und überaus stilvoll arrangiert ist die unmittelbare Umgebung eines jeden einzelnen Kunstwerkes aus eigener Hand, das Brigitte Schön aus ihrem reichen Fundus dazu auserkoren hat, in ihrer Wohnung zu einem Hingucker zu werden. Hier eine Decke aus filigranem weißen Stoff dezent unter einem Aquarell ausgebreitet, dort eine prachtvolle Blüte in einer bauchigen tiefblauen Vase geschickt vor einer farbenfrohen Malerei drapiert oder im Gartenzimmer eine florale Rarität mit winzigen roten Blüten inmitten einer üppigen Farbenpracht von verschiedenen Leinwänden ringsum platziert. Man kann sich kaum sattsehen an der Vielfalt, mit der die gebürtige Steinbacherin überrascht und selbst jene verblüfft, die sie bereits ihr halbes Leben lang kennen.
Schon früh hat Brigitte Schön, die erst vor wenigen Tagen ihren 80. Geburtstag feierte, mit der bildenden Kunst geliebäugelt. Für die praktische Umsetzung war aber zunächst kein Spielraum: Bis 1962 war sie als kaufmännische Angestellte bei der IHK Gießen tätig, dann widmete sie sich zunächst ausschließlich der Familie und der Erziehung ihrer Kinder Katja und Wolfram. Später war sie im Gemeindebüro der Evangelischen Kirchengemeinde als Pfarrsekretärin angestellt, 2001 trat sie in den Ruhestand.
Zu »ihrer« Malerei kam Schön endlich Mitte der 90er Jahre. Als die erste Enkelin 1994 geboren wurde, wollte sie sich in ihrer Freizeit nicht auf die Rolle der Großmutter reduzieren lassen. »Oma ist nicht alles«, erinnert sich Schön heute an ihre damalige Erkenntnis, die sie nach eigenen Angaben »postwendend« in die Malerei getrieben habe. So betreute sie die Kleine ein, zwei Tage die Woche, fand daneben aber auch stets Zeit und Muße, sich im eigenen Atelier an Aquarellen zu versuchen.
»Ich habe immer die Augen danach offen gehalten, wo gut gemalt wird«, blickt Schön auf ihre vielen Ausstellungsbesuche zurück. Das Rüstzeug für die eigene künstlerische Betätigung holte sich die Auto- didaktin anfangs aus unzähligen Kunstbüchern. Es folgte der Besuch der Volkshochschulkurse von Ulrike Kirschbaum in Heuchelheim und Gießen. »Ich bin sehr ehrgeizig«, lacht Schön und schildert, wie sie ihre Aktivitäten dann auf die Acrylmalerei ausdehnte.
»Ich habe geübt und geübt und gemalt wie besessen. Ich wollte immer gut sein«, resümiert sie. Dank ihrer Beharrlichkeit entwickelte Schön eine erste Ausstellung in kleinerem Rahmen Ende der Neunzigerjahre im Steinbacher Pfarramt: »Ich wollte öffentlich machen, was ich kann«. Und dass sie was kann, das ist Brigitte Schön längst mehrfach von Fachleuten attestiert worden.
In Volkshochschulkursen bei der Kunsthistorikerin Dietlind Stürz oder Heike Blumentritt verfeinerte sie ihre Technik, ebenso in Fortbildungen bei namhaften Künstlern wie Josef Kraforst sowie im Rahmen der Marburger Sommerakademie. Schön: »Das hat mir viel gebracht für meine künstlerische Entwicklung. Ich wollte autark und selbstständig sein«. Lakonisch resümiert sie: »Mein ganzes Leben dreht sich heute um die Kunst«. So gehören akribisch vorbereitete Besuche der großen Museen im In- und Ausland sowie der Documenta in Kassel seit vielen Jahren auf ihrem persönlichen Fahrplan.
Farbe ist für sie ein Mittel, um ihrer Energie Ausdruck zu verleihen. Auf ihrem Weg zu einem Gemälde inspiriert sie das Leben um sie herum - der Alltag, der sich aus vielen Details und Stimmungen zusammensetzt. Schöns Gemälde drücken wenig Gegenständliches aus, sie bleiben aber dennoch greifbar. Aquarell, Pastellkreide, Zeichnen bis hin zur Aktmalerei mit Modellen, Skulpturen, Specksteinarbeiten und moderne Acrylmalerei prägen Schöns künstlerische Tätigkeit. Stillleben und kontrastreiche Werke mit unterschiedlichsten Motiven gehören ebenso dazu wie Arbeiten mit Plastik oder Karton als Zeichengrundlage. So vielfältig wie ihre Zeichenstile sind Schöns Thematiken - mal wild und unbändig, im nächsten Bild zart melancholisch.
Brigitte Schön hat ihre Werke bei vielen Ausstellungen in Mainz, Gießen und Umgebung gezeigt; sie hat ihre Arbeiten in Gruppenausstellungen in Gießen in der Sparkassen-Zentrale und im Ärztezentrum in ehemaligen Martinshof (»...ein Riesen-Event«) sowie in Anwaltskanzleien und Arztpraxen präsentiert.
Früher zählte das Tanzen im Rot-Weiß-Club Gießen noch zu den Steckenpferden von Brigitte Schön und Ehemann Karl-Rudolf - zunächst der Einzelpaartanz, später der Formationstanz in der anspruchsvollen Südwest-Liga, Doch seit mittlerweile fast drei Jahrzehnten ist es die Kunst, die den Takt im Leben der Steinbacherin angibt.