Streit um Wohnungsbau-Förderung
Die neue Mehrheit im Kreistag will die Förderung von Wohnungsbau im Kreis Gießen neu justieren. Das stößt auf Gegenrede: Bei Bürgermeistern, Wohnungsbaugenossenschaften, der AWO und Landrätin Anita Schneider.
In Staufenberg mit seinen vier Stadtteilen braucht es bis zum Jahr 2040 rund 450 Wohnungen zusätzlich. Und zwar, wie andernorts auch, vermehrt kleinere, barrierefreie und vor allem für niedrige Einkommen bezahlbare Wohnungen. Das jedenfalls prognostiziert das Wohnraumversorgungskonzept für den Landkreis Gießen.
»Das geht dann nur mit Neubau. Da reicht das Sanieren und Umbauen von Scheunen nicht. Allein mit Modernisierung werden wir es nicht hinbekommen, mehr bezahlbaren Wohnraum zu schaffen«, sagt der Staufenberger Bürgermeister Peter Gefeller. Vor allem brauche es dafür die richtigen Rahmenbedingungen; wie etwa eine verlässliche Förderung. Zusammen mit einigen Bürgermeisterkollegen, Landrätin Anita Schneider, Vertretern von Wohnungsbaugenossenschaften aus dem Lumdatal und dem Busecker Tal und der AWO kritisiert er geplante Änderungen an der Wohnbauförderrichtlinie für den Landkreis Gießen. Angestoßen und initiiert hat die Überarbeitung die neue Mehrheit in der Kreispolitik, die Koalition von CDU, Freien Wählern und Grünen. Schon heute soll die Neufassung im Hauptausschuss des Kreistags beraten und am Montag vom Kreistag beschlossen werden.
Was Gefeller und seine Kollegen vor allem ärgert: Mit der Überarbeitung soll ein Vorzeichenwechsel vollzogen und die Förderung reduziert werden. Zum einen sollen Sanierung und Modernisierung von Gebäudebestand zulasten von Neubauten mehr Gewicht bekommen. Zum anderen befürchtet man ein Halbieren der Fördermittel, die ausgespielt werden. Bislang schießt der Kreis je geförderter Wohnung rund 20 000 Euro zu. Nach den Plänen der Koalition werde ein halbierter Satz die Grundlage. Der könne zwar beispielsweise durch höhere energetische Standards noch erhöht werden. Aber die 20 000 Euro würden so nicht mehr erreicht, befürchtet Landrätin Anita Schneider (SPD). Und höhere Standards bedeuten in der Regel auch höhere Kosten. Weiteres Problem in der Abwicklung; Bisher wurden verabredete Zuschüsse in drei Tranchen überwiesen, so wie der Bau Fortschritte machte. Nun soll eine Förderung erst ganz am Ende ausgezahlt werden. Das könnte es für Bauherren mit knappem Budget schwieriger machen.
Die Reduzierung der Förderung sei »das falsche Signal«, kritisiert Norman Speier in seiner Funktion als Vertreter der AWO. Der Sozialverband hat nämlich jüngst erst in Lollar 23 Wohnungen gebaut und kann dank der Förderung des Kreises Quadratmeter-Mieten von sieben Euro aufrufen. »Ohne Zuschüsse wären wir deutlich über acht Euro«, rechnet Karl Fiedler vom AWO-Kreisvorstand vor. Auch für Speier und Fiedler ergibt es keinen Sinn, dass Neubauten hintangestellt werden sollen. Sie sagen ganz klar: Bezahlbare Wohnungen müssen immer irgendwie bezuschusst werden.
Beispiele dafür steuern Vertreter der Baugenossenschaften Busecker Tal, Lollar und Lumdatal sowie der Licher Bürgermeister Julien Neubert bei: Seine Stadt habe von der bisherigen Förderpraxis »massiv profitiert«. Auch Neubert sagt: Die Änderung der Förderrichtlinie passe nicht in die Zeit und zu den Herausforderungen bei der Nachfrage nach bezahlbaren, kleineren und barrierearmen Wohnungen.
Flächen-Recycling, Schließen von Baulücken, Verdichten von Bebauung - all das habe man bereits gemacht, legen die Landrätin und der Staufenberger Bürgermeister dar. Mitnichten sei Neubau »auf der grünen Wiese« subventioniert worden.
Wie unterschiedlich das Thema bewertet wird, das zeigt die Präsenz von Lars Burkhard Steinz in der Runde gestern in Staufenberg. Der Heuchelheimer Rathauschef ist Sprecher der Bürgermeister im Kreis und gehört zugleich der CDU-Fraktion im Kreistag an, die die Novellierung mit auf den Weg bringen will. Steinz weiß um seine »Zwitterrolle«, will seine Anwesenheit derweil ausdrücklich als Zeichen der Solidarität mit den Bürgermeistern verstanden wissen.
Einen weiteren Aspekt brachte Gastgeber Gefeller ins Spiel, als das Stichwort »Verteilungsproblem« fiel: Das Klimageld. Es habe schon »ein Geschmäckle«, wenn man beim Wohnraum für die kleinen Leute »wegnimmt«, um andererseits übers Klimageld Förderung für energetische Sanierung an Hausbesitzer weiterzureichen. Anregung seines Licher Kollegen Neubert: »Man kann die Förderung ja auch belassen und das Klimageld on top setzen.«