Notfallszenarien im Kreis Gießen: Was, wenn die Feuerwehr nicht ins Haus kommt?
Üben für den Ernstfall: Das ist für Feuerwehrleute Alltag. Und nicht immer steht dabei die Bekämpfung eines Brandes im Mittelpunkt.
Staufenberg/Gießen - Viele Menschen haben Angst davor, Opfer eines Einbruchs zu werden. Dementsprechend werden Haustüren und Fenster verstärkt gesichert, um Einbrechern das Leben so schwer wie möglich zu machen. Woran die meisten nicht denken: Was ist, wenn die Feuerwehr mal ins Haus muss? Die Firma Technical Rescue Mittelhessen aus Staufenberg (Kreis Gießen) trainiert mit Feuerwehrleuten, wie sich auch komplexe Türen öffnen lassen - und wann der Weg über das Fenster die bessere Alternative ist.
Das Szenario spielt sich regelmäßig im Landkreis Gießen ab: Eine Seniorin ist im Wohnzimmer gestürzt, kann nicht mehr aufstehen. Über das Handy kann sie noch einen Notruf absetzen, aber die verschlossene Wohnungstür ist für sie unerreichbar.
Feuerwehren im Kreis Gießen: Verschlossene Tür immer wieder großes Hindernis
In solchen Fällen wird zusammen mit dem Rettungsdienst im Landkreis Gießen die Freiwillige Feuerwehr alarmiert - unter dem Stichwort »Hilflose Person in verschlossener Wohnung«. Doch während das Kuppeln eines Schlauchs und der Löschangriff Grundwissen für jeden Feuerwehrmann und jede Feuerwehrfrau sind, wird die Türöffnung in den Grundlehrgängen nicht vermittelt. Dabei tritt sie immer häufiger als Hindernis auf. Fast täglich müssen die Feuerwehren im Landkreis zu solchen Einsätzen ausrücken.
Im Vergleich dazu: Es gab im gleichen Jahr 124 vollendete oder gescheiterte Einbrüche.

Sören Kraft aus Staufenberg und Jonas Güthoff aus Salzböden sind Profis in Sachen Türöffnung. Einst in der Jugendfeuerwehr gestartet haben sie ihr Hobby zum Beruf gemacht. Über Jahre hinweg haben sie dabei ein großes Wissen über Techniken angesammelt, wie man auch komplexe Schließsysteme öffnen kann. Nachdem sie dieses Wissen bei Übungen weitergegeben hatten, sprachen sich ihre Fachkenntnisse schnell herum - und die Anfragen häuften sich, auch weit über die Kreisgrenzen hinaus. Um den Unterricht professionell anbieten zu können und das dafür notwendige Material finanzieren zu können, beschlossen sie, Technical Rescue Mittelhessen (TRMH) zu gründen. »Wir haben da eine gute Nische erwischt, denn zur notfallmäßigen Türöffnung gibt es kein Seminar an der Landesfeuerwehrschule«, sagt Güthoff.
Feuerwehren im Kreis Gießen: Die drei Kapitel des Themas „Türöffnung“
Neben dem Thema Türöffnung sind mittlerweile Seminare zum Bergen und Abschleppen von Elektro-Fahrzeugen sowie Absturzsicherung und auch zur technischen Hilfe bei Verkehrsunfällen sowie zur Flipchart-Gestaltung hinzugekommen. Dafür sind die mittlerweile fünf Ausbilder bundesweit im Einsatz, bilden Freiwillige, Werks- und Berufsfeuerwehren sowie Abschleppunternehmen vom Bodensee bis in den hohen Norden aus.
Das Thema Türöffnung untergliedert sich in drei Kapitel: »In Modul 1 geht es um das zerstörungsfreie Öffnen«, sagt Kraft. Dabei wird gezeigt, wie Feuerwehren mit bestimmten Werkzeugen eine Tür öffnen können, ohne einen nennenswerten Schaden anzurichten. Dies ist nur dann möglich, wenn die Tür zugezogen, aber nicht abgeschlossen ist. In Modul 2 wird gezeigt, wie man mit verschlossenen Türen umgeht, dabei entsteht allerdings ein geringer Schaden.
In Modul 3 muss es dann deutlich schneller gehen, »wenn beispielsweise die Flammen bereits aus dem Fenster schlagen und es um Leben oder Tod geht, achten wir nicht mehr auf einen geringen Sachschaden«, sagt Kraft. Daher werden hier unter anderem Techniken mit dem Halligan-Tool, einem Multifunktions-Brechwerkzeug der Feuerwehr, gelehrt.
Feuerwehren im Kreis Gießen üben an der Trainingstür für den Notfall
An der Trainingstür Güthoffs und Krafts können die Feuerwehren dies oft beliebig wiederholen, da hier der Riegel des Schlosses durch Holzlatten ersetzt wird. »Diese Möglichkeit bietet eben keine normale Tür«, so Güthoff. Die Feuerwehren üben überwiegend mit ihrem eigenen Werkzeug, können aber auch anderes ausprobieren. Dazu bringt TRMH alle notwendigen Materialien mit. »Dann muss keine Übung ausfallen, nur weil einen Tag zuvor bei einem Einsatz die Feuerwehraxt zu Bruch gegangen ist«, sagt Kraft.
Außerdem können so auch kleinere Feuerwehren mal mit Material üben, das sie nicht auf ihrem Löschfahrzeug finden. Dieses anzuschaffen, mache nur bedingt Sinn. »Man muss sich überlegen: Was habe ich für Personal, was für Material. Lieber ein Werkzeug, das alle bedienen können als 35, die keiner beherrscht«, sagt Kraft. Auch hierzu berät TRMH die Feuerwehren. (Patrick Dehnhardt)
Für den Kampf gegen Waldbrände ist Landkreis Gießen im Hessen-Vergleich beispielhaft gerüstet.