Plötzlich gute Chancen für „Schamott“ - Werk-Erhalt hängt an zwei Faktoren

Noch ist nichts in trockenen Tüchern, aber eine Einigung scheint in greifbarer Nähe: Der Wiener Konzern RHI Magnesita bestätigt nun, dass er die Mainzlarer »Schamott« doch erhalten möchte. Ob es dazu kommt, hänge vor allem an zwei Faktoren.
Staufenberg - Die Gegenwart ist nicht gerade arm an wirtschaftlichen Herausforderungen - von ins Stocken geratenen globalen Lieferketten und Produktionsabläufen durch Corona bis hin zu galoppierenden Rohstoff- und Energiepreisen, gerade im Zuge des russischen Angriffs auf die Ukraine. Ausgerechnet in dieser Krisenzeit gibt es in Staufenberg-Mainzlar (Kreis Gießen) nun sehr konkreten Anlass für Hoffnung auf den Erhalt eines Traditionswerks, das schon abgeschrieben schien.
Der Standort des Wiener Weltkonzerns RHI Magnesita, im Kreis Gießen vielen bekannt als »Schamott«, wird womöglich weiterbetrieben - und das, obwohl die Stilllegung zum Jahresende schon 2021 beschlossen, ein Sozialplan für die bislang rund 130 Beschäftigten längst besiegelt worden war.
Kreis Gießen: RHI Magnesita äußert sich zu Standort in Staufenberg-Mainzlar
Nachdem kürzlich Staufenbergs Bürgermeister Peter Gefeller über Gespräche hinsichtlich eines dauerhaften Weiterbetriebs informiert und das hessische Wirtschaftsministerium Verhandlungen über eine Reaktivierung des Werks-Gleisanschlusses bestätigt hatte, äußert sich nun auch der Konzern selbst.
Er verweist auf »volatile Zeiten aufgrund von globalen Lieferketten- sowie Materialengpässen in der gesamten Industrie«. Diese Zeiten verlangten, »Strategien und Pläne für das globale Produktionsnetzwerk immer wieder zu prüfen und anzupassen«, heißt es in einem Statement aus der Wiener Zentrale vom Mittwoch auf Anfrage dieser Zeitung.
Bereits im September hatte RHI Magnesita mit einer Kehrtwende überrascht: Zuvor war von einem Rückbau der »Schamott« bis Juli 2022 die Rede gewesen, dann wurde die Schließung auf Ende 2022 terminiert. Begründet hatte das Unternehmen den geänderten Zeitplan unter anderem mit coronabedingten Ausfällen der Belegschaft in Südamerika, aber auch damals schon mit weltweiten Liefer- und Materialengpässen.
Kreis Gießen: „Konstruktive Gespräche“ zu „Schamott“ laufen
»Aufgrund der sich ständig verändernden Bedingungen am Weltmarkt« prüfe man jetzt »gemeinsam im Team und im Management, ob die Produktion in Mainzlar in den nächsten Jahren weitergeführt werden kann«, informiert RHI nun. »Dies wäre mit erheblichen Investitionen verbunden.«
Noch laufen die Verhandlungen. Zum aktuellen Stand heißt es, man befinde sich »seit einigen Wochen in konstruktiven und positiven Gesprächen« mit dem lokalen Betriebsrat, den Mitarbeitern, der regionalen Politik sowie dem Land Hessen.
Entscheidend für den Ausgang sind demnach vor allem zwei Faktoren: »der Gleisanschluss und genügend Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, um die Produktion weiter beziehungsweise neu führen zu können.« Über beides werde weiter gesprochen, weshalb man »noch keine finalen Schlüsse ziehen« könne.
Man spreche mit der Belegschaft und dem Betriebsrat und hoffe, »dass so viele Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter wie möglich mit uns den Weg in Mainzlar weitergehen möchten«. Denn: Nur wenn genügend Personal bleiben möchte, »könnte das Werk weiterbetrieben werden.«
Wie aber würde man in diesem Fall mit dem Sozialplan und der ebenfalls 2021 ausgehandelten »Bleibeprämie« verfahren, mit der rund 80 Beschäftigte motiviert werden sollten, bis Ende 2022 im Betrieb weiterzumachen? Alle Beschäftigten, »die sich nun entschließen, nicht weiter bei uns zu bleiben, nehmen den im Vorjahr ausverhandelten Sozialplan in Anspruch«, äußert sich das Unternehmen.
Kreis Gießen: Gleisanschluss zum Werk in Mainzlar für RHI Magnesita „extrem wichtig“
Jenen, die über einen Verbleib in der »Schamott« nachdenken, will RHI Magnesita dies offenbar mit einem lukrativen Angebot schmackhaft machen: »Alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die bei uns bleiben wollen, fallen unter neue Vereinbarungen, die keinesfalls schlechter getroffen werden als der Sozialplan, der nun auf dem Tisch liegt.«
Bleibt der zweite Faktor: die Wiederinbetriebnahme des Gleisabschnittes von Lollar zum Mainzlarer Werk, der vor ein paar Jahren stillgelegt worden war. »Der Gleisanschluss ist für uns extrem wichtig«, betont das Unternehmen. »Ohne den nachhaltigen Bahntransport können wir das Werk in Mainzlar nicht weiterführen.«
So könnte über Umwege auch der stockende Prozess hin zu einer möglichen Lumdatalbahn-Reaktivierung Fahrt aufnehmen. Ein Neustart für die »untere Lumdatalbahn« scheint als erster Schritt für die gesamte Strecke bis Londorf denkbar. Nach der Meldung über Verhandlungen zwischen RHI Magnesita und dem Landeswirtschaftsministerium hatte der Verein Lumdatalbahn bereits zu Wochenbeginn frohlockt. Sollte der Schienen-Güterverkehr zur »Schamott« wieder aufgenommen werden, könne dies auch die Nutzen-Kosten-Bilanz für den Personenverkehr auf der Lumdatalbahntrasse verbessern, so der Vereinsvorstand.
Kreis Gießen: Produktion in Mainzlar könnte umgestellt werden
Falls es zu einem dauerhaften Weiterbetrieb des Werks kommt, will der Konzern Abläufe vor Ort verändern: »Der Plan ist, die Produktion in Mainzlar künftig flexibel zu gestalten, heißt: mehrere Produkte (nicht nur eines) herzustellen, um künftig flexibel auf Nachfragen reagieren zu können.«
Noch gibt es einiges zu verhandeln. Bis Klarheit herrscht, wird laut RHI Magnesita aber nicht mehr allzu viel Zeit ins Land gehen. »Wir hoffen, in den nächsten drei bis vier Wochen eine Entscheidung erreichen zu können.« (Jonas Wissner)