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Corona-Hochburgen im Kreis Gießen: Zwischen Besorgnis und Abstumpfung 

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Von: Stefan Schaal

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Die hohe Inzidenz sei »erschreckend«, räumt Staufenbergs Bürgermeister Peter Gefeller ein. Doch sei man auf die Entwicklung auch vorbereitet.
Die hohe Inzidenz sei »erschreckend«, räumt Staufenbergs Bürgermeister Peter Gefeller ein. Doch sei man auf die Entwicklung auch vorbereitet. © Stefan Schaal

Die Corona-Fallzahlen im Kreis steigen und steigen. Mit einem Inzidenzwert von 1357,6 zählt Staufenberg zu den Kommunen, die neben Gießen und Lollar aktuell am stärksten betroffen sind. Gespräche mit Bewohnern und dem Bürgermeister verdeutlichen: Die Zahlen sorgen für Erschrecken. Gleichzeitig haben sich aber viele an den Ausnahmezustand längst gewöhnt.

Gießen/Staufenberg - Die Kaffeemaschine zischt. Ansonsten herrscht Stille bei Bäcker Born in Staufenberg. Rot-weißes Absperrband hängt dort, wo sonst Gäste sitzen und plaudern, durchs Fenster nach draußen schauen und ihren Kaffee schlürfen. Eine kleine Dampfwolke entsteigt dem Becher Cappuccino, den Tanja Tekaya in ihrer Hand hält. Ihre Maske schlägt Falten, ein Lächeln zeichnet sich hinter dem Mund- und Nasenschutz der Verkäuferin ab. Sie mache sich keine allzu großen Gedanken über die Corona-Fallzahlen in ihrer Stadt, gesteht sie. Ja, fügt sie hinzu, irgendwie habe sie sich an den Zustand gewöhnt.

Die Sieben-Tage-Inzidenz der Stadt liegt wohlgemerkt bei 1357,6. Es ist ein Rekordwert. Staufenberg verzeichnet im Kreisgebiet nach Gießen und Lollar die höchste Inzidenz. Es ist eine Zahl, die eigentlich betroffen macht. Doch eine Umfrage unter Staufenbergern macht deutlich: Die Pandemie, die täglichen Wasserstandsmeldungen zu den Fallzahlen machen mürbe.

Corona im Kreis Gießen: Hotspot Staufenberg mit Inzidenz über 1300

»Ob ich mich jetzt impfen lasse oder nicht: was bringt es denn?«, sagt Manuel Winkler. Er steht draußen an der Ampel vor der Bäckerei. Er kenne mehrere Geimpfte, die dennoch infiziert wurden, fügt er hinzu. Und was nutze es denn, täglich die Inzidenz zu verfolgen? »Die geht rauf und runter.« Im Gespräch mit Staufenbergern am gestrigen Montag auf der Straße fallen immer wieder derartige Sätze. Sie klingen nach Verharmlosung. Doch vielmehr spricht aus ihnen eine große Corona-Müdigkeit. Der Tatsache, dass eine Impfung vor schweren Krankheitsverläufen schützt, widerspricht Winkler nicht. Sicher seien die Lage und die hohe Inzidenz »bedenklich«, räumt er am Ende ein, bevor er weitergeht.

Ein paar Hundert Meter weiter läuft Michael Paulke nahe der Burg-Apotheke dick eingepackt durch die Kälte. Täglich informiere er sich in der Zeitung über die Inzidenzen im Kreis und in seiner Stadt. »Auch wenn es nicht das erste ist, wofür ich morgens die Zeitung aufschlage.« Klar mache er sich Gedanken angesichts der aktuell hohen Zahlen, räumt der Versicherungsunternehmer ein. Um sein Büro zu betreten, muss man geimpft oder genesen und zusätzlich getestet sein. Seine Mitarbeiter müssen sich regelmäßig testen. »Wir gehen nicht mehr ins Restaurant, kochen mehr zu Hause.« Doch in Panik dürfe man nicht verfallen, ergänzt Paulke. »Leben ist immer lebensgefährlich«, sagt er lachend. »Das hat Erich Kästner schon gesagt.«

Gleichsam habe die Pandemie das Leben seiner Familie auf unerwartete Weise verändert, erzählt der Staufenberger. »Wir haben näher zueinander gefunden.« Mit dem Hund beispielsweise, erklärt er, »gehe ich nicht mehr alleine raus.« Anstatt in den Urlaub zu fahren, sei die Familie gemeinsam häufiger mit dem Mountainbike durch das Gießener Land gefahren.

Corona-Hochburgen im Kreis Gießen: Steigende Fallzahlen haben Konsequenzen

Die Tür der Burg-Apotheke öffnet sich. Ein Mann tritt hinaus. Freilich sei die Inzidenz hoch, sagt er. Aber die Frage, wie man damit umgeht und ob man sich ansteckt, »liegt vor allem an einem selbst«, sagt er, bevor er ins Auto steigt und wegbraust.

Es ist Mittag, der Himmel ist fahl und grau. An der Bäckerei in der Lollarer Straße laufen immer wieder Schüler vorbei. Dass der Ausnahmezustand der Pandemie mittlerweile ein Normalzustand geworden ist, beschreiben auch die Achtklässlerinnen Elisa, Tricia und Sydney. Die Pandemie greife nun eben um sich wie eine Grippe, sagen sie. Die Lehrer informieren sie immer wieder über Inzidenzen im Kreis und Hygieneregeln, berichten sie. Zwei Mitschüler hätten sich infiziert. »Wir sind erleichtert, dass es ihnen bald darauf wieder gut gegangen ist.«

Mit einer Packung Zigaretten in der Hand verlässt währenddessen Matthias Schmidt die Agip-Tankstelle an der Landesstraße. So gut es geht vermeide er Kontakte, sagt der Salzbödener. Was die Inzidenzen und die Fallzahlen angeht, »stumpft man aber mit der Zeit einfach ab«.

Die steigenden Fallzahlen haben unterdessen auch Konsequenzen. Am gestrigen Montag hat Staufenbergs Bürgermeister Peter Gefeller (SPD) dem Magistrat vorgeschlagen, die Hallen der Stadt zumindest für Gruppen von Kleinkindern zu schließen. »Es tut mir im Herzen weh«, sagte Gefeller. Doch es gehe darum, gerade jüngere Kinder, die sich noch nicht impfen können, vor einer Infektion und einer Weiterübertragung zu schützen.

Corona im Kreis Gießen: Warum sind Fallzahlen in Staufenberg so hoch?

Außerdem habe die Stadt Staufenberg soeben 10 000 Lollitests bestellt. »Wir hoffen, dass sie bis Freitag ankommen.« Eltern sollen dann ihre Kindergartenkinder selbst zu Hause testen können.

Mehrere Jugendliche und Kita-Kinder seien aktuell in der Stadt infiziert, sagt Gefeller. Die Fallzahlen, vermutet er, seien möglicherweise in Staufenberg besonders hoch, weil in einem Zentrum in der Vitalen Mitte besonders viel getestet werde. Die hohe Inzidenz sei »erschreckend«, räumt Staufenbergs Bürgermeister ein. Doch sei man auf die Entwicklung auch vorbereitet. »Wir wissen durch den Gesundheitsminister und die ganzen Talkshows am Abend, dass die Kurve in Deutschland weiter steigen wird.« Staufenberg sei eben keine Insel der Glückseligen.

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