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Schwierige Bedingungen für Kultur

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Von: Jonas Wissner

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Ein Foto aus besseren Tagen: »Kiss forever« heizen bei »Gleiberg rocks« im Jahr 2019 ordentlich ein. ARCHIVFOTO: VH © Jonas Wissner

Der »Neustart für Kultur« ist in vieler Munde. Doch aus Sicht von Veranstalterin Sabine Glinke sind die Perspektiven schwierig: Das Publikum habe sich vielfach entwöhnt, der Kostendruck sei hoch. Sie erwartet das für Kulturschaffende vielleicht schwerste Jahr der Pandemie - es brauche weitere Förderungen.

Zwar bewegen sich die Inzidenzen weiter in schwindelerregenden Höhen. Doch die bundesweiten Corona-Schutzmaßnahmen laufen nun weitgehend aus, während regionale Hotspot-Regelungen weiter möglich sind. Auch für Kulturschaffende und Veranstalter klingt es nach Tauwetter, künftig soll wieder mehr möglich sein. Andererseits fallen auch auf Corona gemünzte Förderprogramme teils weg.

Für allzu viel Optimismus sieht Sabine Glinke, unter anderem Veranstalterin von »Gleiberg rocks«, derweil noch keinen Anlass. Dieses Jahr werde für Kulturschaffende wohl das schwerste der Pandemie, so ihre Erwartung. »Wir hatten im Laufe der Pandemie, die noch nicht vorbei ist, eine Entwöhnung des Publikums von Veranstaltungen«, sagt Glinke. Und diese halte noch immer an. »Es ist schwierig, Vertrauen und Interesse bei Leuten wieder aufzubauen.« Glinke spricht von »Cocooning« - dem Trend, sich ins Private zurückzuziehen, es sich zu Hause gemütlich zu machen. Zudem halte die Sorge vor Corona manche Menschen weiter davon ab, Veranstaltungen zu besuchen. Nicht zuletzt sitze der Geldbeutel bei vielen derzeit nicht so locker.

Die Corona-Zeit habe die Situation in der Kulturbranche erschwert, manche Probleme noch verdeutlicht, betont Glinke. »Es war schon vor Corona nicht einfach, Leute für kleine Veranstaltungen zu gewinnen«, so die Veranstalterin. »Man hätte bedenken müssen, dass die Probleme nicht aufhören, wenn die Maßnahmen fallen.«

Ist nun ein »Kulturhunger« als Nachholeffekt zu spüren? »Das ist sehr unterschiedlich, je nach Publikum und Zielgruppe«, sagt Glinke. Aber selbst für etablierte Events, wo Karten sonst oft schnell vergriffen seien, gestalte sich die Situation nun schwierig. »Es ist eher die Ausnahme, wenn Sachen gut laufen.«

Im Zuge der Pandemie seien »enorme Preissteigerungen« hinzugekommen, etwa für die Bühnen. Ferner machten sich Personalsorgen breit, da sich viele in der Veranstaltungsbranche Aktive mittlerweile umorientiert hätten. Mit den auch durch den Krieg in der Ukraine bedingten horrenden Energie- und Spritpreisen »knallt nun die nächste Nummer rein«, sagt Glinke: Personal werde noch einmal teurer und helfende Hände überlegten sich mit Blick auf die hohen Preisstände an der Zapfsäule nun genau, wie weit sie für eine Veranstaltung zu fahren bereit sind.

Gerade bei kleinen und mittleren Veranstaltungen sei der Preisdruck hoch, die Situation besonders schwierig, so ihre Einschätzung. Wobei es auch »glänzende Ausnahmen« gebe, »es kommt auch darauf an, wie etabliert man ist«. Mutige Veranstalter wagten jetzt wieder, Festivals anzubieten. Glinke verweist auf das »Papalala«, das am ersten Aprilwochenende in der Treiser Sport- und Kulturhalle steigt, so könne man neue Erkenntnisse gewinnen.

Glinke selbst hat unter anderem bei einer Light-Version von »Gleiberg rocks« im September Erfahrungen mit Veranstaltungen unter Pandemie-Bedingungen gemacht. Rund 200 Gäste seien dabei gewesen, weit weniger als in »normalen« Zeiten - und eigentlich zu wenig für den Aufwand. »Gelohnt hat es sich schon«, sagt Glinke, »aber auch, weil alle Bands nur mit Spritgeld nach Hause gefahren sind«. Für Gagen sei das Budget schlicht zu knapp gewesen.

Zwar seien nicht alle Förderungen für Veranstaltungen an Corona-Auflagen oder pandemiebedingte Ausfälle geknüpft, manches könne weiter abgerufen werden. Doch Glinke beklagt, dass Förderprogramme teils »sehr bürokratisch« seien. Für »Gleiberg rocks« beispielsweise komme manches nicht infrage. Die Kreis-Förderung »Vorhang auf« habe indes vielen geholfen.

Bei einem Gespräch des Kulturforums der Sozialdemokratie im Kreis Gießen hat die Gießener Ex-OB Dietlind Grabe-Bolz kürzlich vorgeschlagen, Förderlotsen in Stadt und Kreis zu installieren, um gerade auch Freischaffenden bei Anträgen zu helfen. Auch Glinke war dabei - und hält das für einen sinnvollen Vorschlag. Denn mit Anträgen und oftmals damit verbundenen Nachweisen sei etwa für Veranstalter ein enormer Buchhaltungsaufwand verbunden, was nicht zuletzt viel Zeit koste.

Manche Herausforderungen wären aber auch mit Fördermitteln schwer zu bewältigen. »Gerade im Technikbereich haben viele hingeschmissen«, sagt Glinke, »da sind manche Jobs nicht mehr besetzt«. Ihre Befürchtung: »Mein Bauchgefühl sagt mir, dass es dem einen oder anderen - nicht nur aus der Veranstaltungsbranche - das Genick brechen wird.« Insolvenzfristen seien zuletzt noch teils ausgesetzt gewesen, in manchen Fällen stünden nun womöglich Rückzahlungen von staatlichen Hilfen an, da könne ein böses Erwachen drohen. »Es wird keinen Tag x geben, wo alles wieder gut ist.«

Aus den schwierigen Rahmenbedingungen versucht Glinke, das Beste zu machen. Am 15. Juni soll »Gleiberg rocks« wieder in gewohnter, größerer Form stattfinden. »Wir haben es jetzt ganz normal im Verkauf und in der Bewerbung«, sagt die Veranstalterin und hofft auf gute Resonanz. In Richtung der Politik erhebt sie derweil eine klare Forderung: »Tankrabatt und Energiegeld - das ist in dieser Branche ein Tropfen auf den heißen Stein. Mein Appell ist, sich Gedanken zu machen, wie man Hilfen unbürokratisch fortsetzen kann - auch im ländlichen Bereich.«

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