Schwere Geburt einer Großgemeinde

Ende der 60er gelangte auch im Laubacher Raum die Gebietsreform auf die Tagesordnung. Mit Unterzeichnung der Grenzänderungsverträge 1970 war dann der erste Schritt hin zur neuen Großgemeinde vollzogen. Im ehemals Freien Reichsdorf Freienseen aber regte sich heftiger Widerstand.
Vor nunmehr 50 Jahren, genau am 1. April 1972, war das »neue« Laubach mit seinen neun Stadtteilen komplett. Zu diesem Tag nämlich wurde die Eingliederung Freienseens zur Großgemeinde rechtswirksam. In einem dritten Schritt war die Gebietsreform im Raum Laubach abgeschlossen.
Zum Ende hin eine schwere Geburt, hatte doch in Freienseen - von alters her im Clinch mit dem gräflichen Laubach (nur ein Stichwort: der Wasserstreit von 1595) - die Volksseele gekocht. Ein »Laubach-Freund« unter den Gemeindevertretern musste sich gar »Du Verrätersau« an den Kopf werfen lassen.
Eine Rolle dürfte der »relative Reichtum« der Gemeinde im Seental, die Angst vor einer Übervorteilung, gespielt haben. Denn anders als in den Dörfern rundum hatte man hier schon seit den 1920ern ein Gemeinschaftshaus bzw. eine Turnhalle und bis in die 60er Weberei und Kleiderfabrik.
Wunsch nach Fusion im Seenbachtal
Eindeutiger Tiefpunkt: der Galgen. Ernst Löbsack kann sich noch gut daran erinnern: »Der stand eines Morgens gegenüber der Waldschenke.« Mit den zwei aufgeknüpften Strohpuppen habe man wohl die Befürworter der Eingliederung im Gemeinderat »weichkochen« wollen. Der 87-Jährige nahm auch an einer Bürgerversammlung im September 1971 teil. Das Meinungsbild zur Eingliederung war eindeutig: »90 Prozent waren dagegen.«
Auch Ortsvorsteher Hermann Hans Hermannski berichtet im GAZ-Gespräch von heftigen Streitereien um die »Zwangseingemeindung«. Die Mehrheit sei damals für eine Fusion im Seenbachtal gewesen. Die aber hatte sich mit dem Jawort Weickartshains für Grünberg zerschlagen.
Stadtarchivarin Lea Palitsch: »Die restlichen Seenbachtalgemeinden bekamen nicht die vom Land verlangte Mindestgröße von 5000 Einwohnern zusammen.« Dass in den anderen Dörfern das Thema weniger emotional abgehandelt wurde, zeigen ihre Recherchen:
Die erste Modellplanung für den Kreis Gießen wurde danach 1969 veröffentlicht. Aufgrund der Verflechtungen und zugunsten eines Ausbaus Laubachs zum Mittelzentrum bot sich ein Zusammenschluss mit Altenhain, Freienseen, Gonterskirchen, Lauter, Röthges, Ruppertsburg und Wetterfeld an. Eine Proberechnung über die Anreize des Landes (höhere Schlüsselzuweisungen) bei einer freiwilligen Fusion lag bei jährlich knapp 550 000 DM, auf die Dauer von zehn Jahren.
Am 30. Juni 1970 lud Laubach zur ersten Besprechung Bürgermeister und Beigeordneten ein, zwei Wochen später folgte eine Debatte mit allen Gemeindevertretern. Für die weitere Realisierung der Reform wurde ein Arbeitskreis aus Vertretern der Gemeinden gebildet.
Ein Ziel: Wertgleiche Lebensbedingungen
Münster war da noch außen vor, strebte man dort doch den Zusammenschluss mit Ettingshausen, Hattenrod sowie Nieder- und Ober-Bessingen an. Was aber wiederum an gewünschter Gemeindegröße von 5000 bis 10 000 Einwohnern scheiterte. Schließlich nahmen auch die Münsterer Kurs auf Laubach
Wesentliche Grundlage der abschließenden Grenzänderungsverträge bildete eine Bestandsaufnahme in den Ortschaften, gefolgt von Einzelverhandlungen über Investitionen und Wünsche der künftigen Stadtteile. Etwa zur selben Zeit wurden Bürgerversammlungen einberufen.
Da die »Sonderzuweisungen« für freiwillige Zusammenschlüsse nur bis zum 31. Dezember 1970 bewilligt wurden, drängte die Zeit. Und so kam’s, dass am 4. Dezember des Jahres Vertreter von Wetterfeld, Röthges, Lauter, Ruppertsburg, Münster und Gonterskirchen die Grenzänderungsverträge unterzeichneten - die Eingliederung zur Stadt Laubach zum 31. Dezember 1970 konnte rechtswirksam werden.
Mit den Verträgen einigte man sich etwa auf die Bildung von Ortsbeiräten, Erhalt der Jagdbezirke, Ortsgerichte und Feuerwehren, Weiterbeschäftigung der Gemeindearbeiter, einen Ehrensold der ehrenamtlichen Bürgermeister sowie auf die Förderung des Vereinslebens. Auch sollten in allen Stadtteilen verbesserte, wertgleiche Lebensbedingungen geschaffen werden.
Als »Achter im Bunde« kam Ende 1971 Altenhain hinzu; dafür hatten die Alsfelder der Ausgliederung der ehemaligen Kreisgemeinde zunächst zustimmen müssen.
Zu diesem Zeitpunkt war schon lange klar, dass ab 1972 den Gemeinden keine Vergünstigungen nach dem Finanzausgleichsgesetz mehr gewährt und die Eingliederung nach der Modellplanung erfolgen werde. In Freienseen gewannen daher die Diskussionen an Fahrt. Nachdem fünf Gemeindevertreter am 8. Oktober 1971 Verhandlungen mit Laubach über einen Grenzänderungsvertrag beschlossen hatten, legten vier Gegner eine Dienstaufsichtsbeschwerde beim Landkreis ein. Sie warfen dem fünften Mann Befangenheit und Interessenkollision vor, werde ihm doch ein besserer Arbeitsplatz in Laubach geboten.
Bei der Gemeindevertretersitzung vom 30. Oktober dann lag der Entwurf des Vertrages zur Beschlussfassung vor. Doch wieder kam es zu heftigen Spannungen, sodass sogar der Bürgermeister und ein Beigeordneter ihr Amt niederlegten. Die Aufsichtsbehörde bestellte darauf einen Staatsbeauftragten.
Am 22. Dezember 1971 schließlich wurde die Eingliederung aus Gründen des öffentlichen Wohles doch beschlossen. Die Gegner klagten vorm Verwaltungsgericht, das Verfahren wurde jedoch eingestellt - die Eingliederung wurde zum 1. April 1972 rechtswirksam.
Flächengrößte Gemeinde im Kreis
Nach dem Zusammenschluss mit Freienseen zählte Laubach 8860 Einwohner und war die flächengrößte Gemeinde im Kreis Gießen. Vertraglich festgehaltene Investitionen wurden fast alle in den ersten Jahren der Eingemeindung verwirklicht. Allerorts wurde der Ausbau von Straßen und Wegen angegangen, ein Flächennutzungsplan aufgestellt. Ausbau der Friedhöfe, Bau von Sportlerheimen, die Fertigstellung oder Modernisierung von Geräte- und Bürgerhäusern waren weitere Maßnahmen im neuen, größeren Laubach
