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Schülerrat im Kreis Gießen für Schulbeginn um 8.30 Uhr - Das sagen Schulleiter zu dem Vorschlag

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Von: Stefan Schaal

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Bewusst plädiere man für eine moderate Verschiebung um nur eine Schulstunde nach hinten, erklärt Kreisschulsprecher Christoph Bonarius, um somit die Auswirkungen auf den Nachmittag der Schüler und ihrer Familien in Grenzen zu halten. SYMBOLFOTO: DPA © DPA Deutsche Presseagentur

Die Schulschließungen waren für Jugendliche eher schädlich. Darin sind sich Ärzte, Kinderschutzbund und Kultusminister einig. Doch die Zeit des Homeschoolings hatte auch positive Effekte: Durch das spätere Aufstehen haben Schüler länger geschlafen und sich gesünder gefühlt, wie eine Studie aufzeigt. Der Kreisschülerrat bringt einen Schulbeginn um 8.30 Uhr ins Spiel.

Als eine »ziemlich große Last« hat Kreisschulsprecher Christoph Bonarius die Pandemie kürzlich beschrieben. Die Schülerschaft sei »sehr coronamüde«. Zu Beginn der Schulschließungen habe sich die Mehrheit gefreut. »Das war aber schnell vorbei«, das Zwischenmenschliche sei auf der Strecke geblieben. Einen positiven Nebeneffekt des Homeschoolings, räumt Bonarius ein, habe man allerdings festgestellt: Durch das Wegfallen des Schulwegs habe man etwas länger schlafen können. Das habe durchaus gutgetan.

Eine aktuelle Studie von Kinderärzten der Universität Zürich bestätigt Bonarius’ Beobachtung. Demnach hätten die Schulschließungen während der Pandemie bei Jugendlichen zu mehr Schlaf und damit zu einer besseren Lebensqualität beigetragen. Grundsätzlich, betont der Leiter der Studie, der Kinderarzt Oskar Jenni, habe das Homeschooling vor allem im sozialen Bereich schwerwiegende negative Effekte auf Kinder und Jugendliche gehabt. Die 3664 befragten Schüler hätten während des Lockdowns allerdings auch durchschnittlich 75 Minuten länger geschlafen. Dies sei ein positiver Effekt, »der bisher vernachlässigt wurde«.

Späterer Schulbeginn: Konkrete Pläne in Allendorf

Der üblicherweise frühe Schulstart gegen 7.45 Uhr trage zu einem chronischen Schlafdefizit vieler Jugendlicher bei. Zu wenig Schlaf könne vor allem bei Heranwachsenden zu erhöhter Müdigkeit, Angst und körperlichem Unwohlsein führen. »Unsere Befunde«, sagt Jenni, »sprechen klar dafür, die morgendlichen Schulstartzeiten zu verschieben, damit die Jugendlichen mehr Schlaf bekommen.«

Vor diesem Hintergrund bringt der Kreisschülerrat nun einen Schulbeginn um 8.30 Uhr ins Spiel. Dafür wolle man sich auch auf politischer Ebene einsetzen, kündigt Kreisschulsprecher Bonarius an. Bewusst plädiere man für eine moderate Verschiebung um nur eine Schulstunde nach hinten, um somit die Auswirkungen auf den Nachmittag der Schüler und ihrer Familien in Grenzen zu halten.

Die Diskussion um einen späteren Schulbeginn ist freilich nicht neu. »Sie ist durch Corona etwas in den Hintergrund geraten«, sagt Christopher Lipp, Schuldezernent des Landkreises. Schulen können in Hessen wohlgemerkt selbst entscheiden, wann sie morgens mit dem Unterricht beginnen wollen. Dennoch müsste die Frage auf Landesebene diskutiert werden, sagt Lipp.

Beginnt die Schule später, endet sie auch später. Der Vereinssport könnte darunter leiden.

Gabriel Verhoff

Im Kreis Gießen könnte es unterdessen bereits im kommenden Schuljahr an einer Schule zumindest zu einer moderaten Verschiebung der ersten Stunde nach hinten kommen. Seit einem Jahr gibt es dazu am Standort der Clemens-Brentano-Europaschule in Allendorf konkrete Pläne und Gespräche. Ziel sei, den Unterrichtsbeginn von 7.40 Uhr um 20 Minuten auf 8 Uhr zu verlegen, berichtet Andrej Keller, Leiter der Clemens-Brentano-Europaschule. Ab 7.30 Uhr sei ein »offener«, nicht verpflichtender Schulstart geplant, der Übergang in den Unterricht sei fließend.

»Das ist keine Revolution«, räumt Keller ein. Und doch ein Anfang. Keller macht keinen Hehl daraus, dass er einen späteren Unterrichtsbeginn klar befürwortet. »Es wäre für alle Beteiligten besser«, sagt er. Würden die Schulzeiten den Biorhythmus der Jugendlichen stärker berücksichtigen, »würde das ihre Leistungsfähigkeit verbessern«. Auch sein zwölf Jahre alter Sohn springe inzwischen nicht mehr um 6 Uhr morgens herum, sagt Keller. In den USA sowie in Frankreich und England sei ein späterer Schulstart üblich.

Der Schulleiter macht allerdings auch deutlich, dass eine derartige Verschiebung allein schon aus organisatorischen Gründen äußerst schwierig wäre. Die Taktung der Busse, die beispielsweise auch Ziele wie Bahnhöfe anfahren, müsste geändert werden.

Späterer Schulstart: Kampf gegen Tradition

Gleichzeitig sei es vielen Eltern wichtig, den Nachmittag mit ihren Kindern zu verbringen und mit ihnen zum Beispiel Hausaufgaben zu erledigen. Diese Zeit würde durch einen späteren Schulbeginn beeinträchtigt werden. Auch für manche Lehrer im Kollegium, deren Kinder in Kitas ohne Nachmittagsbetreuung untergebracht sind, wäre ein späterer Schulstart problematisch.

»Beginnt die Schule später, endet sie auch später«, betont Gabriel Verhoff, Leiter der Gesamtschule Gleiberger Land. »Das hätte Konsequenzen auf den Privatbereich der Schüler und ihrer Familien. Der Vereinssport könnte darunter leiden.« In den USA, wo die Schule in der Regel später beginnt, sei der Sport deutlich stärker im Schulunterricht eingebunden. Für eine breite Diskussion zu dem Thema sei er allerdings offen, sagt Verhoff.

Keller unterdessen erzählt, dass einige Schüler in der Zeit des Homeschoolings ihre Aufgaben mitten in der Nacht geschickt hätten, während der Schulschließungen also vermutlich nicht unbedingt mehr geschlafen haben. »Ob das gesund war?« Ein späterer Schulstart rüttle auch an hiesigen Traditionen, ist er sich bewusst. »Und Tradition verhindert bekanntlich fast 90 Prozent aller Reformen.«

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