Schicksale der Verschleppten nicht vergessen
Gießen/Laubach (pm/so). Einige Gräber in Arnsburg, ein paar Hinweise in Heimatchroniken, eine Baracke in Freienseen. Nur noch wenig erinnert an die Schicksale der Menschen, die zwischen 1940 und 1945 in diese Region verschleppt und zur Arbeit gezwungen wurden.
Das soll sich ändern. Die Gießener Linke und die Vraktion im Gießener Kreistag haben jetzt die Initiative ergriffen für eine Gedenktafel in Freienseen. Sie soll an der einzig erhaltenen von einst 15 Baracken aufgestellt werden, in denen in den letzten Kriegsjahren auch russische Zwangsarbeiter untergebracht waren. Diese mussten seinerzeit in einem nahe gelegenen Eisenbahntunnel für die Frankfurter Firma VDO Armaturen für die geplanten Waffen V1 und V2 produzieren. Obwohl diese Baracke seit 1991 als »Mahn- und Denkmal aus geschichtlichen Gründen« ausgewiesen ist, erinnert dort heute nichts mehr an einen Ort der Zwangsunterkunft für Zwangsarbeiter«, emport sich Stefan Walther von der Kreistagsfraktion der Gießener Linken. Walther: »Die Gedenktafel soll ein erster Schritt sein, diesen Zustand zu beenden.«
Um diese »Tafel des mahnenden Gedenkens«, so die Idee, sollte sich der Kreisausschuss in Abstimmung mit dem Denkmalschutz beziehungsweise dem Denkmalschutzbeirat kümmern.
Zum Hintergrund: Mit dem Überfall auf Polen 1939 begann der deutsche Faschismus den Zweiten Weltkrieg. Die weitere Steigerung der Rüstungsproduktion bei gleichzeitiger Rekrutierung aller wehrfähigen Männer war nur möglich durch die Intensivierung der Zwangsarbeit, insbesondere durch Deportation vorwiegend junger Menschen aus allen von der Wehrmacht besetzten Gebieten nach Deutschland. Historiker schätzen die Zahl der eingesetzten Zwangsarbeiter auf über 7 Millionen Menschen, unter Einbeziehung von Fluktuation geht man von 11 Millionen Betroffenen aus, zu denen auch viele Kinder gehörten. Diese Zahlen berücksichtigen noch nicht die Tausende deutscher KZ-Häftlinge, die auch zur Zwangsarbeit gezwungen wurden. Vor allem Großkonzerne profitierten von den billigen und rechtlosen Arbeitskräften, unter anderem die Krupp AG, Daimler Benz, IG Farben, Friedrich Flick usw.
Tausende Arbeiter in Mittelhessen
Allein in der Stadt Gießen sind nach bisher vorliegenden Veröffentlichungen 1610 Zwangsarbeiter aktenkundig, die aus Belgien, Bulgarien, Dänemark, Frankreich, Italien, Kroatien, Litauen, den Niederlanden, Norwegen, Polen, Rumänien, der Slowakei, der Türkei, Ungarn oder der Sowjetunion kamen. In allen Rüstungsbetrieben des Kreises waren Hunderte von Zwangsarbeitern eingesetzt: bei Buderus in Lollar, bei Didier in Mainzlar, bei Schunk in Heuchelheim, bei Dönges in Krofdorf, bei Poppe in Gießen, um nur einige, wenige beispielhaft zu nennen. In jedem Dorf waren Zwangsarbeiter in der Landwirtschaft eingesetzt, in vielen Haushalten Besserverdienender und bei Nazibonzen.
Etliche Zwangsarbeiter fielen den unmenschlichen Arbeitsbedingungen bei mangelhafter Ernährung und unzureichender Unterkunft zum Opfer, kamen bei Arbeitsunfällen um oder wurden ermordet. Fast alle diese Fälle wurden niemals aufgeklärt, die Opfer vergessen, verdrängt, die Taten vertuscht, die Täter, Mittäter und Verantwortlichen geschont.