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Rettung auf den letzten Drücker

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Von: Thomas Brückner

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Heute ist ihr letzter Tag: Gerda Salzmann (69), Betreiberin des gleichnamigen Altenheims in Laubach, geht in den Ruhestand. In sprichwörtlich letzter Minute konnte sie einen Nachfolger finden, die Schließung zurücknehmen. © Thomas Brueckner

Eine Hiobsbotschaft - gerade für die betagten Bewohner - machte im Juni in Laubach die Runde: »Zum 1. Juli schließt das Altenheim in der Johann-Sebastian-Bach-Straße!« Die Suche der 69-jährigen Betreiberin Gerda Salzmann nach einem Nachfolger war gescheitert. »Ich hatte den Mut verloren«, erklärt sie ihre Entscheidung, zu schließen und den gut 20 Angestellten zu kündigen.

Dank eines glücklichen Zufalls ist es doch anders gekommen.

Seit einem halben Jahrhundert schon werden in dem idyllisch gelegenen Heim am Rande Laubachs alte Menschen betreut. Die baulichen Voraussetzungen aber sind nicht ideal, ist der Betrieb doch verteilt auf drei Wohngebäude. Vor allem die Barrierefreiheit ist ein Problem, zumindest im Haus mit der Nummer 25: Auf dem Weg ins Untergeschoss ist eine Treppe zu überwinden.

Die Versuche, eine Lösung zu finden, seien gescheitert, berichtet an diesem Morgen Gerda Salzmann, seit 1986 Besitzerin und Leiterin des Altenheims. Die Kosten einer »Rampe« ums Haus herum, aber auch die unsicheren Perspektiven des Heimbetriebs seien vom Vermieter ins Feld geführt worden.

Salzmann und ihre Familie haben das Beste aus der Situation gemacht. So wurden etwa die Bewohner je nach Pflegebedürftigkeit auf das für sie passende Gebäude verteilt, sorgt in den anderen Häusern ein »Treppensteiger« dafür, dass auch Rollstuhlfahrer ohne große Kraftanstrengung ins Obergeschoss begleitet werden können.

Mitte der 80er hatte die examinierte Altenpflegerin und Pflegedienstleiterin nach beruflichen Stationen in Büdingen und im Rhein/Main-Gebiet eine neue Herausforderung gesucht. Nicht das letzte Mal sollte sie dank einer Bekannten fündig werden. So kam’s, dass sie zum 1. Juli 1986 die von Martha Schmieden geführte Einrichtung im »Musikerviertel« übernahm. Zur familiären Atmosphäre der kleinen, aber feinen Einrichtung passte, dass ihre Schwester die Stelle der Pflegedienstleitung übernahm. Nicht vergessen sei der Hinweis auf die mit der Selbstständigkeit verbundenen Investitionen, darunter der Kauf der Gebäude mit den Hausnummern 23 und 32.

Grundsätzlich aber, das sollte bald klar werden, waren die baulichen Gegebenheiten eben nur suboptimal. Und so ging Gerda Salzmann Anfang der Nullerjahre das ambitionierte Projekt »Neubau« an. Ein modernes Altenwohn- und -pflegeheim mit 64 Plätzen in der Schottener Straße sollte es sein. Die gebürtige Ortenbergerin hatte geglaubt, einen Investor gefunden zu haben. Der jedoch sprang überraschend ab, orientierte sich anderweitig und baute in einem Stadtteil Laubachs.

»Eigentlich wollte ich bis 70 machen«, verrät sie im GAZ-Gespräch. Warum sie ein Jahr vorher aufhört? »Corona«, lautet ihre lapidare Antwort. Um im gleichen Atemzug zu schildern, welch bürokratischen Aufwand die Behörden während der Pandemie Altenheimbetreibern auferlegt hätten.

Mal abgesehen von der Testpflicht für Bewohner wie Beschäftigte, nennt sie vor allem die umfangreichen Meldeauflagen und das komplizierte Berechnen der Corona-Prämien für die Angestellten.

Inzwischen müsse sie drei volle Tage für Verwaltungsaufgaben investieren - statt einem halben Tag in der Anfangszeit. »Damals reichten zwei Rechnungsbücher.« Dass ab 1. Januar 2024 keine Rechnung mehr auf Papier erstellt werden darf, sämtliche Vorgänge digitalisiert werden müssen, bestärkte die »typische Anwenderin« (Salzmann über Salzmann) im Entschluss zum »vorzeitigen« Ruhestand - nach 48 Berufsjahren.

»Ich wollte unbedingt vermeiden, dass meine 28 Bewohner ihre Heimat verlieren, nicht alle hätten in Laubach eine neue Bleibe gefunden«, kommt sie dann auf die nervenaufreibende Suche nach einem Nachfolger zu sprechen. Und verweist zunächst auf eine langjährige Mitarbeiterin, die Interesse gezeigt und Kurse belegt hatte, um es sich am Ende doch anders zu überlegen. Auch weil sie keine Zukunft für das Haus sah. Es war nicht die einzige Absage. So verlor sie schließlich den Mut, avisierte die Schließung zum 1. Juli 2022 und kündigte den Angestellten.

Dann erwähnter schöner Zufall: Aufs Neue über eine Bekannte erfuhr der Leiter eines Altenheims in Schotten von Salzmanns Absichten und meldete Interesse an - nur eine eine Woche vor dem Schließungstermin!

Normalerweise brauche es ein Jahr Vorlauf vor einer Betriebsübergabe. »Zupass kam uns da, dass der neue Betreiber gelernter Jurist ist und die Verhandlungen mit Versorgungsamt, Genehmigungsbehörde und gleichsam Heimaufsicht, sowie dem Verband der Pflegekassen führte. Obendrein ist er deutlich jünger und hat bessere Nerven als ich«, fügt sie mit einem Lächeln an.

Der jüngere Nachfolger stammt aus Mülheim/Ruhr, verfügt über langjährige Erfahrungen im Sozialbereich. Seit 1. September ist er offiziell neuer Betreiber des Altenheims in der Johann-Sebastian-Bach-Straße.

Am heutigen Freitag, endet für Gerda Salzmann dieses Kapitel, beginnt ihr neuer Lebensabschnitt als Ruheständlerin. »Ich bin froh, endlich mal keine Verantwortung tragen zu müssen«, sagt sie am Ende. Und auch keine 50-Stunden-Woche mehr leisten zu müssen, wenn sie wieder mal einspringen und in der Küche 28 Mittagessen zubereiten musste.

»Zurück an den eigenen Herd also!«, möchte man da scherzhaft ausrufen - gewiss, doch in freier Selbstbestimmung, einzig nach Gusto sowie frei von der Verantwortung für die betagten Schützlinge.

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